Kreuzberger Chronik
Oktober 2014 - Ausgabe 163

Essen, Trinken, Rauchen

Sas lässt es sich schmecken


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von Saskia Vogel

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Soll ich Ihnen das Baby abnehmen, während Sie essen? Es ist wohl selten, dass ein Koch in einem Bistro einem Gast - und sei er noch so weiblich und charmant - ein derartiges Angebot unterbreitet. Doch die Frischlingsmutter Sas befindet sich in einer misslichen Lage: Auf dem linken Arm hält sie ihr Baby, mit der rechten Hand versucht sie, die glitschigen Bandnudeln aus ihrer Asiasuppe zu fischen. Das kann der Koch nicht länger mitansehen. Und Zeit hat er auch, denn die Mutter ist sein einziger Gast.

»Vor einem Jahr haben wir geöffnet und immer noch ist es leer«, erzählt der Koch und schwenkt fachmännisch das Baby. Sas kann in aller Ruhe ihre Suppe löffeln, die außergewöhnlich gut schmeckt. Der Koch hat das Kochen schon zu Hause bei der italienischen Mutter gelernt. Täglich, pünktlich um sechs Uhr am Abend, gab es ein wunderbares Essen. Später kochte der Sohn der Italienerin im Adlon, er ist ein Profi. Jetzt steht er mit seiner schwarzen Kochjacke, auf der die Knöpfe glänzen wie auf einer Uniform, im urbano an der Urbanstraße.

»In den alternativen Restaurants hier im Kiez wird der Gast ja gern im Holzfällerhemd bedient. Und der Koch arbeitet in Turnschuhen und T-Shirt«, sagt der Koch. Aber hier sei ein Koch seinem Berufsstand entsprechend gekleidet, und die Bedienung trage ein sauberes Hemd. Insgesamt sei es hier wohl »gediegener« als anderswo.

Tatsächlich ist Sas auf Empfehlung eines grauen Herren in dem Bistro im »Haus der Parität« eingekehrt. Zerrissene Sofas zum Rumgammeln gibt es hier nicht, vielleicht bleibt deshalb auch das »alternative Kreuzberger Publikum« so gerne aus. Hier speisen also die einfachen, normalen Leute, die kommen, um gut und günstig in einem unaufgeregten Ambiente zu essen. Ein wenig erinnert alles an Kantine: Der pragmatische Neubau, die eckigen Tische mit beschichteten Spanplatten, Kerzenständer und Tischdeckchen in poppigem Orange.

Das Bistro gehört zur so genannten gemeinschaftlichen PROWO gGmbh. Hier arbeiten Menschen, die vom »ersten Arbeitsmarkt« genug haben. Sechs Personen gehören zu einem Team, in dem sich niemand mehr beweisen will, niemand mehr von der Karriere träumt. Das mache die Arbeitsatmosphäre sehr entspannt, erzählt der Koch. Trotzdem sei jeder engagiert. Niemand, der hier arbeitet, schiebt Schichten, nur um seine Miete bezahlen zu können.

Sas hat ihre asiatische Suppe aufgegessen, mit Zitronengras, wie nett. Der Koch gibt ihr das geschaukelte Baby zurück. Ein bisschen plaudert sie noch mit dem kinderfreundlichen Koch. Er wünsche sich, das dass das Bistro sich endlich ein wenig mit Leben fülle. Allerdings »ohne, dass wir großartig etwas ändern müssen«. Das urbano soll, so scheint es, »gediegen« bleiben. Ein schlichtes, unaufgeregtes Bistro, in dem auch weiterhin keine kaputten Sofas in der Ecke stehen müssen. Und in dem ein Koch auch ohne Holzfällerhemd kochen darf. •

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