November 2014 - Ausgabe 164
Geschäfte
Lust auf Lüster von Hans W. Korfmann |
November. Es wird allmählich dunkler in der Stadt. Auch in der schmucklosen Gitschiner Straße. Doch da brennt ein Licht. Im Sommer, wenn die Sonne über die Trasse der Hochbahn und über die Fassaden der Gitschiner Straße steigt, fällt Sonnenlicht bis hinunter in Erkan Athas kleinen Laden. Dann beginnt es in seinem Schaufenster zu funkeln und zu strahlen. Dann zwinkern und blinken die vielen Tausend kleinen Kristalle an seinen Lüstern, die wie große Trauben, wie riesige Tropfen von der Decke baumeln. Dann spiegelt sich das Sonnenlicht in den geschliffenen Gläsern, dann scheint es sich zu vervielfältigen, und in den echten Bleikristallen erscheinen plötzlich wieder die Spektralfarben des Regenbogens. Foto: Dieter Peters
Und da ihm nicht nur eine, sondern viele gefallen, hat er halt viele, viele Lampen in seinem Laden. Dabei hatte er das Praktikum bei dem türkischen Lampenhändler in Schöneberg nur deshalb gemacht, weil er möglichst wenig Arbeit und viel Freizeit haben wollte. Und Sami Özsöy versprach ihm drei Wochen Urlaub. Also verschwand Erkan für drei Wochen in die Türkei. Aber als er zurückkam, nahm die Arbeit kein Ende mehr, sie fuhren auf Flohmärkte in ganz Berlin, arbeiteten an Wochenenden und machten täglich Überstunden. Aber Erkan machte das viele Arbeiten nichts aus. Erkan hatte seine Leidenschaft für Lüster entdeckt. Foto: Dieter Peters
Inzwischen hat der Lampenhändler eine eigene Werkstatt in Avcilar, einem alten Viertel von Istanbul. Dort werden die Lampen, die sie auf Flohmärkten, bei Wohnungsauflösungen oder in den Hinterzimmern türkischer Antiquitätenhändler gefunden haben, neu verkabelt. Im 19. Jahrhundert wurden noch Gasleitungen durch die Gestänge der Lüster gezogen, um die Steine mit den kleinen Flammen zum Funkeln zu bringen. Der österreichische Lüster aus der Zeit von Maria Theresia wurde nachträglich mit Strom versorgt, wie die Lüsterklemme aus Porzellan beweist. Die meisten Kronleuchter kommen aus Italien oder Frankreich, einige aus der Türkei. Im 19. Jahrhundert waren die funkelnden Leuchter nur wenigen Sultanshäusern vorbehalten, erst später verbreiteten sich die europäischen Kristallleuchter auch im Orient. Erkan Atha kann viele Geschichten erzählen. Meistens sind es Geschichten von persönlichen Beziehungen. Es gibt nichts in diesem Schmuckkästchen mit seinen 1001 Schmucksachen, von dem er nicht wüsste, wie es zu ihm kam: Das Bild von der Alpenlandschaft zum Beispiel, das eher in einem bayerischen Wohnzimmer als zwischen Wasserpfeifen zu vermuten wäre, kam aus Alt-Mariendorf, und es war auch nur der silberne Rahmen gewesen, der ihm gefiel. Die kleinen Aquarelle mit den Küstenlandschaften von Guiseppe Salvati hatten ihm »einfach gefallen. Also hab ich sie gekauft.« Oder das Bild von Picasso, das natürlich nur ein Druck ist. Er sah es, fragte, was es kosten solle, und kaufte. »Hoffentlich ist das jetzt kein Picasso«, scherzte er – dann sah er, was unter dem Bild auf einem Zettel stand: Picasso. So sitzt er nun in seinem Laden zwischen lauter schönen Dingen und raucht Wasserpfeife. »So was geht nicht ohne eine Wasserpfeife«. Erkan hat sein Glück gemacht in der tristen Gitschiner Straße. Mit »100 Euro Startkapital«, für das er einst zwei Lampen bei Ebay ersteigerte, als er noch zur Uni ging. Mehr Investment hätte er nicht riskiert. Er mag diese Leute nicht, die mit Geschäftsideen zur Bank gehen und sich »erst einmal ein teures Büro und ein teures Auto kaufen«. Erkan Atha hatte keine Geschäftsidee. Er hat sich einfach verliebt. In die funkelnden Lichter. Er kauft, weil es ihm gefällt. Nicht, weil es Geld einbringen könnte. Er würde auch alles behalten. Und deshalb ist dieser Laden ein Schatzkästchen. Deshalb blieben die Fernsehleute auch so lange im Laden. • |