März 2014 - Ausgabe 156
Reportagen, Gespräche, Interviews
Die Schließung einer Kiezbibliothek von Horst Unsold |
Es waren einmal 220 Bibliotheken in Berlin. Heute sind es nur noch 80. Foto: Dieter Peters
Jetzt arbeitet Urban zwischen Bücherregalen in der Oranienstraße. Dort engagiert er sich für seine Leser und überrascht die Nachbarschaft immer wieder mit Ausstellungen über Schriftsteller und ihre Werke oder zur Geschichte Kreuzbergs. Roland Urban könnte es sich in einem Sessel bequem machen, anstatt die langgestreckte Glasfront der Bona-Peiser-Bibliothek in eine Ausstellungsfläche zu verwandeln, aber er liebt eben die Bücher und die Autoren. Er möchte, dass alle, die dort draußen auf der Straße vorbeigehen, stehenbleiben. Und vielleicht zu Stammkunden werden. Obwohl die kleine Bibliothek ohnehin gut besucht ist. Immerhin 40.000 Besucher betreten die Bücherausleihe in der Oranienstraße. Am 4. Februar trat Roland Urban vor den Kulturausschuss, der sich in der Bibliothek in der Adalbertstraße getroffen hatte, um über die Schließung des Standortes in der Oranienstraße zu beraten. Seine Rede war die Rede eines Mannes, der aus Überzeugung handelt und der sich für das einsetzt, was er für wichtig und richtig hält. Vielleicht war sie nicht umsonst: »Mein Name ist Roland Urban. Ich arbeite jetzt im fünfzehnten Jahr in der Bona-Peiser-Bibliothek. (...) Ich bin in der etwas paradoxen Situation, dass ich denen, die für den Erhalt dieser Bibliothek unterschrieben haben, danken möchte, (...) ich aber im Grunde meines Herzens davon überzeugt bin, dass diese Bibliothek geschlossen werden muss. Ich bin dankbar dafür, weil Aufmerksamkeit erzeugt und Öffentlichkeit hergestellt wird....« Als bekannt wurde, dass der Bezirk die Bona Peiser Bibliothek auf den Index setzte, war der RBB sofort zur Stelle, um über die Unterschriftenaktion zu berichten, die postwendend ins Leben gerufen wurde. Die Berliner Zeitung schrieb von einer 71jährigen, die »zum Kampf gegen die Schließung ihrer Kiezbibliothek aufruft«, und der Tagesspiegel sah plötzlich »Schwarze Löcher auf der Landkarte« des Kulturbetriebes in der Hauptstadt. Und Stefan Rogge, der Berliner Vorsitzenden des Deutschen Bibliotheksverbandes, kritisierte, dass das Angebot an Bibliotheken noch immer »eine freiwillige Leistung der Bezirke« sei. Doch die Bezirke haben keine eigenen Mittel. Roland Urban kommt in seiner Rede auf diesen Missstand zu sprechen. Es geht nicht nur um Bücher, es geht um Menschen und um Politik: »Im Grunde geht es ja darum, dass der Senat die Bezirke in eine Personalsackgasse fährt. In fünf Jahren sank der Mitarbeiterbestand der Bibliotheken in Friedrichshain-Kreuzberg um 15-20 Prozent, und zwar einfach dadurch, dass Mitarbeiter in Rente gingen und ihre Stellen meist eingespart wurden. Dazu nun der aktuell auferlegte Stellenabbau. Gleichzeitig stiegen aber die Leistungszahlen, die Entleihungen und Besucher, ständig an.« Das sieht auch der Deutsche Bibliotheksverband und kritisiert, dass Kulturpolitik nicht allein unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit betrachtet werden dürfe. Dann »bräuchten wir nur noch Spielfilme anzuschaffen.« Es geht um Bildung, es geht darum, allen einen »Zugang zu allen Informationen und Medien« zur Verfügung zu stellen. Diesem Anspruch werden Bibliotheken gerecht. »Der Jahresausweis der Bibliothek kostet zehn Euro, den kann sich fast jeder leisten. Bibliotheken sind die am stärksten besuchte Kultureinrichtung überhaupt.« Die Bibliothek in der Oranienstraße mit ihren 23.000 Büchern und CDs ist eine kleine Bibliothek mit einem engen Bezug zu ihrer Leserschaft. Man kennt sich, plaudert, Kitas und Grundschulklassen können nicht nur zu regulären Öffnungszeiten die Bibliothek zum Lesen nutzen. Eltern schicken ihre Kinder allein in die Bibliothek, sie wissen, sie sind gut aufgehoben. So etwas ist in großen Häusern wie der AGB oder der Hauptbibliothek in Friedrichshain undenkbar. Dennoch sponsert der Senat mit einem Kulturetat von knapp 400 Millionen Euro auch im Jahr 2014 vor allem einige wenige Großprojekte. Über 300 Millionen hat der umstrittene Finanzjongleur Schmitz an nur zehn Kulturbetriebe vergeben. Um die verbleibenden Millionen kämpfen hunderte kleiner Kulturinstitutionen, für viele von ihnen ist es ein Kampf ums Überleben. So auch für die Bibliotheken. Dabei mangelt es nicht an Büchern, auch nicht an Häusern. Der Mietvertrag der Bona-Peiser-Bibliothek stammt aus dem Jahre 1964, die Miete ist nicht der Rede wert. Andere Häuser gehören ohnehin dem Senat. Teuer ist das Personal. »Unser Bezirk muss insgesamt 138 Stellen einsparen«, rechnet die zuständige Stadträtin vor. Für Kreuzbergs Bibliotheken bedeutet das einen Abbau von weiteren 6 Stellen. Roland Urban kennt alle diese Zahlen. 2008 saßen noch 62 Mitarbeiter hinter den Schaltern der Bibliotheken im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Jetzt werden sie 46 sein. Es geht um nüchterne Zahlen, es geht allein um Wirtschaftlichkeit. »Man rechnet heute auf den Cent genau aus, was das Ausleihen eines Buches den Senat kostet«, sagt Urban. Das hat mit Kultur nichts mehr zu tun, nicht einmal mit Angebot und Nachfrage. Seit 2008 haben die Entleihungen kontinuierlich zugenommen, es sind 200.000 mehr als noch vor sechs Jahren. Die Besucherzahl stieg von 520.000 auf 615.000. Nur das Personal wurde weniger. »So etwas gibt es nicht einmal in einem privatwirtschaftlichen Betrieb«, sagt Urban. In seiner Rede fügte er hinzu: »Mit Verwunderung habe ich den Artikel vom 7. Januar 2014 in der Berliner Zeitung gelesen«, in dem es heißt, »dass die Zahl der Bibliotheken im Berlin der Nachwendezeit von 220 auf 80 gesunken ist. Von 220 auf 80! (...) Aber warum steht da nicht, denn es geht ja um Friedrichshain-Kreuzberg, dass es in Friedrichshain einmal über zehn Bibliotheken gab, wovon nur eine einzige übriggeblieben ist? Warum steht da nicht, dass die Anzahl der Bibliotheken in Kreuzberg dagegen seit 20 Jahren nahezu konstant geblieben ist. Was ohne Beispiel in ganz Berlin sein dürfte. Dazu kommt die komfortable Situation, die AGB mitten in Kreuzberg zu haben. Der Abstand zur nächsten Bibliothek von nicht einmal zwei Kilometern, den Frau Hopfer beklagt, ist wahrscheinlich der kürzeste Abstand zwischen zwei Bibliotheken, den es in Berlin überhaupt noch gibt. Friedrichshainer Kinder und Rentner müssen Kilometer um Kilometer z.B. von der Landsberger Allee oder der Stralauer Allee aus zur einzig verbliebenen Bibliothek in der Frankfurter Allee. Es wurden Mahnwachen angedacht, wie ich las. Ich persönlich würde Mahnwache dafür stehen wollen, dass die rigide Sparpolitik des Senats, der die Arbeitsbedingungen eines überalterten Personals ständig verschlechtert und die Gesundheit der Mitarbeiter gefährdet, gestoppt wird. (...) Ich würde Mahnwache dafür stehen wollen, dass die gut ausgebildeten jungen Menschen endlich eine Chance bekommen und nicht ständig als Lückenfüller ausgenutzt, nach einem Jahr Weiterbeschäftigung in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Wenn dies im Herbst wieder sechs ehemaligen Azubis passieren wird, (...) sind seit 2004 von 18 Azubis lediglich 2 befristet und eine Kollegin unbefristet weiterbeschäftigt worden. Stellen Sie sich vor, es wären Ihre Kinder. Es ist ein Skandal, was hier mit jungen Menschen gemacht wird. Und noch eine Mahnwache würde ich stehen wollen. Früher gab es einmal eine türkische Bibliothek in Kreuzberg, die Kemal-Bibliothek im Bethanien. Heute gibt es nicht einmal eine Kollegin oder einen Kollegen türkischer Herkunft mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag. Und das in Kreuzberg! Da bleibt Gerede über Integration einmal mehr nur leeres Geschwafel.« Als Urban geendet hatte, sah er in »ein Dutzend verdutzter Gesichter«. Seine Rede war weit davon entfernt gewesen, die Dinge vereinfacht zu sehen. Diese Rede bedauerte nicht die Schließung einer Kreuzberger Bibliothek, sie prangerte die Kulturpolitik dieser Stadt und die Politik überhaupt an. Sie betrachtete die Dinge im großen Zusammenhang. Tatsächlich entschloss sich die BVV am Ende der Sitzung, ihre Entscheidung zu verschieben, um der Initiative mehr Zeit zum Sammeln von Unterschriften zu geben. »Aber egal, wieviele Stimmen zusammenkommen werden: Die Stellen sind bereits gestrichen.« Roland Urban weiß: Er wird künftig in anderen Bibliotheken arbeiten. Ausstellungen wie in der Oranienstraße wird es dann keine mehr geben. • Foto: Dieter Peters
|