Kreuzberger Chronik
März 2014 - Ausgabe 156

Kanzlei Hilfreich

Die Geschichte mit Emil


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von Kajo Frings

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Jens Hilfreich gefiel seine kleine Hinterhauswohnung. Insbesondere die in der ursprünglichen Küche eingebaute Duschtoilette von 1,3 Quadratmetern. Ihm gefiel auch das Geschrei der Kinder im Hof, obwohl er sich fragte, warum fast alle Türkinnen „Anne« hießen. Den Kindern gefiel sein Kater Satan, ein in der doppelten Bedeutung des Wortes zwangsläufiger Mitbewohner. Über eine Leiter kam man aufs Dach, und während Satan über die Häuser eilte, um etwas Aufreissbares zu finden , betrachtete Jens das Häusermeer, den dunk-len Osten und den beleuchteten Westen. Hilfreich fand, dass ein Entre deux mers genau der richtige Wein war, um mit sich anzustoßen.

Hier oben lernte er in einer Frühlingsnacht das Kreuzberger Prinzip nachbarschaftlicher Solidarität: In einem Hinterhof schrie nach Mitternacht eine Frau »Hilfe, Feuer, Hilfe«. Aus einem anderen Hof kam der Ruf: »Wenn Sie mir ihre Adresse zurufen, kann ich die Feuerwehr alarmieren« Dann öffnete sich ein drittes Fenster, eine kräftige Männerstimme übertönte alles: »Jeht dat nich ein bisschen leiser?!«

Eines Morgens klingelte es bei Jens Hilfreich an der Wohnungstür. Verschlafen öffnete er, auch ohne seine Brille erkannte er einen blassen Mann: »Was machen Sie denn hier?« Jens antwortete korrekterweise: »Ich öffne die Tür meiner Wohnung«. Der Blasse brüllte: »Das ist immer noch meine Wohnung und das da ist mein Kater«. Emil Dresen zückte sowohl seinen Ausweis als auch einen Grundbuchauszug. Einen Treppenabschnitt tiefer stand ein Mann, der in Jens‘ trüben Augen wie ein Bodyguard aussah. »Moment« murmelte Hilfreich, ging in »seine« Wohnung, wühlte in den Unterlagen und kam mit dem Mietvertrag an, den er ein paar Jahre zuvor mit dem Kneipenwirt Horst Brand geschlossen hatte. Emil Dresen griff nach dem Mietvertrag und wollte damit das Weite suchen. Da packte der Anwalt den Blassen am Schlafittchen und schob ihn in einen Winkel, der ihn beim Loslassen genau eine halbe Treppe tiefer auf den Bodyguard mit der gezogenen Pistole hätte fallen lassen.

Das war nicht besonders mutig von Jens Hilfreich gewesen, denn er hatte ohne Brille die Pistole gar nicht sehen können. Aber Emil war beeindruckt, rückte den Mietvertrag raus und zog ab, Satan hinterher.

Jens Hilfreich war eben nicht umsonst Jurist. Am nächsten Morgen studierte er auf dem Amtsgericht die Liste der Zwangsversteigerungen und stieß abermals auf den Namen Emil Dresen. Mit dem Kneipenwirt, der sich als der Eigentümer ausgegeben hatte, führte er anschließend ein längeres Gespräch, in dem es um Betrug und eine Strafanzeige ging. Man verglich sich. Dann ersteigerte Anwalt Hilfreich Dresens Wohnung. Die zehn Prozent, die er in bar hinterlegen musste, hatte ihm der Wirt als Schweigegeld gezahlt, den Rest »lieh« ihm die Bank. Und die Wohnung war jetzt wirklich seine Wohnung.•


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