Kreuzberger Chronik
Juni 2014 - Ausgabe 159

Strassen, Häuser, Höfe

Die Naunynstraße


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von Werner von Westhafen

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Wrangel und Manteuffel gehörten zu den Akteuren der Berliner Märzrevolution. Auch Franz Christian Naunyn gehörte dazu.

Die Naunynstraße gehört zu den prominentesten im Stadtviertel SO36. Das legendäre Jugendzentrum in der Naunyn Ritze und das wieder eröffnete Ballhaus aus dem 19. Jahrhundert, aber auch der Mythos der in den 60er-Jahren von Studenten belebten Eckkneipen und Miethäuser im Zentrum zwischen Oranien-, Adalbert und Waldemarstraße haben zum Ruhm der eher unscheinbaren Straße beigetragen und sie zu einem Synonym für den Widerstand gegen die bürgerliche Gesellschaft werden lassen.

Der Namensgeber der Straße, Franz Christian Naunyn, ist dagegen kaum bekannt. Obwohl auch sein Name mit der Tradition des Widerstandes verknüpft ist. Am 20. März 1848 gestand der Ma-gistrat der Stadt Berlin in einer schnörkellosen Bekanntmachung seine Niederlage gegenüber dem revolutionären Widerstand ein: »Der Geheime Oberregierungsrat Krausnick hat sein Amt als Oberbürgermeister niedergelegt. Den Vorsitz im Magistrat hat vorläufig der Bürgermeister Naunyn übernommen.«

Die Nachricht dürfte in den engen Straßen Berlins mit großer Freude aufgenommen worden haben. Denn mit dem 49 Jahre alten Franz Christian Naunyn löste ein Demokrat und Fürsprecher der Revolutionäre den Vertreter des Königs an der Spitze des Magistrats ab. Dass dieser Regierungswechsel nicht friedlich ausgehandelt wurde, sondern unter dramatischen Umständen und dem massiven Druck der revolutionären Ereignisse zustande kam, bestätigen die Erinnerungen des Stadtrates Nobiling, der »Zeuge der traurigsten Szene« wurde, »welche wohl je in einem Sessionssaale stattgefunden hat. Der größere Teil der Stadträte und eine Anzahl Stadtverordnete hatten den Oberbürgermeister umringt und baten ihn flehentlich, um des Wohles der Stadt und seines eigenen willen Berlin zu verlassen und sein Amt niederzulegen.«

Man befürchtete den Sturm der Rebellen, die bereits die »Mobilien des Majors von Preuß angezündet« hatten. Eine kleinbürgerliche »Angst um die eigenen Kommoden und um die des Bürgermeisters« machte sich breit, der selbst »sehr angegriffen« und nur noch ein Häufchen Elend gewesen zu sein schien, weshalb »das Ganze ein Bild äußerster Gebeugtheit bot.« Nur wenige versuchten, den Oberbürgermeister zum Widerstand und zum Bleiben zu bewegen, und schon bald kam wieder»der Punkt der möglichen Demolierung der Wohnung wieder aufs Tapet, ein weinerlicher Abschied beendete die Szene.«

Stadtrat Nobiling, der vom Polizeipräsidenten Minutoli mit der Organisation der Bürgerwehr gegen die Aufständischen beauftragt worden war und dem das Gejammer allmählich zu viel wurde, ging zur Tagesordnung über und bat um Unterstützung durch einen ihm geeignet erscheinenden Stadtverordneten. Naunyn aber nominierte den Stadtrat Märtens, »bekannt als der ärgste Oppositionsmann und ein wahrhaft Roter«, zur Unterstützung Nobilings, der »glaubte, vor Scham in die Erde sinken zu müssen«. Die Berufung Märtens´ war somit Naunyns »erster selbständiger Akt als regierender Bürgermeister«.

Der königstraue Krausnick
Der königstreue Krausnick




Der untreue Naunyn
Der untreue Naunyn








Schon der Vater des Berliner Politikers war Bürgermeister des kleinen Städtchen Drengfurt gewesen. Leider starb er früh und stürzte die Familie in ärmliche Verhältnisse. Nur mit der finanziellen Unterstützung der Verwandtschaft und einem Stipendium konnte der junge Franz in Königsberg Jura studieren. Im Rahmen des Studiums kam er erstmals auch nach Berlin und half bei der Separation des Köpenicker Feldes, das als Baugebiet erschlossen werden sollte. Der ehrgeizige Jurist war bereits Direktor der Anhaltinischen Eisenbahn, als man sich in Berlin an ihn erinnerte und ihm einen Posten im von Krausnick angeführten Magistrat anbot. Schon bald schrieben politische Beobachter, der junge Mann habe es nur auf den Sessel seines Chefs abgesehen. Die Unruhen im März 1848 schienen den Eindruck zu bestätigen: Naunyn nutzte die Gunst der Stunde, sprach hinter dem Rücken Krausnicks als diplomatischer Vertreter der Aufständischen beim König vor und forderte den Abzug des Militärs aus den Straßen. Mit Erfolg: Der König ließ tatsächlich seine Truppen abziehen.

Doch die Ursachen des Widerstandes in den Straßen Berlins waren mit der Revolution nicht beseitigt. Noch immer herrschte Armut und Unmut in den Straßen Berlins, immer wieder gab es Auseinandersetzungen, die Nationalversammlung und das Zeughaus wurden gestürmt. So wurde die Sehnsucht nach Demokratie allmählich von der Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung abgelöst.

Damit schwand auch die Popularität des vermeintlich fortschrittlichen Bürgermeisters. Sogar die Gunst des Königs war verloren, und am 10. November, als der Konterrevolutionär und General Wrangel die Gunst der Stunde nutzte, seine Truppen in der Stadt einmarschierten und die Nationalversammlung sprengten, verwehrte der König dem protestierenden Bürgermeister die Audienz. Erst im August 1849, nachdem in einer geheimen Sitzung beschlossen wurde, die »Distanz zur Krone aufzugeben«, war der König wieder bereit, seinen Naunyn in Potsdam zu empfangen.

Nun erinnerten sich auch die Revolutionäre daran, mit welchem Ehrgeiz der junge Jurist gleich nach seiner Ankunft in Berlin nach dem Amt des Regierenden Bürgermeisters getrachtet hatte. Naunyn wurde des Opportunismus verdächtigt, und 1850, bei den ersten offiziellen Wahlen nach der gescheiterten Revolution, landet der unglaubwürdig gewordene Politiker weit abgeschlagen im hinteren Mittelfeld. Der königstreue Heinrich Wilhelm Krausnick aber wurde abermals zum Bürgermeister gewählt. Der Traum von der Demokratie war vorerst zu Ende geträumt.

Vielleicht liegt es daran, dass der vermeintliche Revolutionär in den Geschichtsbüchern kaum erwähnt wird, und dass auch in jener Straße, die ein Jahr nach seinem Tod im November 1863 seinen Namen erhält, kaum jemand seinen Vornamen kennt. •




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