Kreuzberger Chronik
Juni 2014 - Ausgabe 159

Geschichten & Geschichte

Rudi Lesser - ein vergessener Künstler


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von Hans W. Korfmann

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Als er nach dem Krieg heimkehrte, hatte der Kunstbetrieb ihn vergessen. Die, die ihn kannten, vergaßen ihn nie.

Selbstbildnis mit Frau und Kind
Vor 36 Jahren erschien anlässlich einer Wanderausstellung, die in Düsseldorf, Osnabrück und Berlin Station machte, ein Katalog mit Grafiken des Malers Rudi Lesser. Es war ein sympathischer, schlichter Bildband, der ohne viele Worte auskam. Einer der wenigen, die zu Wort kamen, war der Studienkollege Wolf Hoffmann, der schrieb: »Er ist (…)eines der letzten hiesigen Originale, dessen unruhiges Leben nun am Kreuzberg ein Zuhause gefunden hat, an der Ecke seine geliebte Kneipe, unter dem Tisch sein zotteliger Hund, in der Aktentasche immer eine Radierplatte.« Und ein Stückchen Wurst für den Hund.

Denn Hunde waren so wichtig wie die Kunst in Lessers Leben. Als Lesser die 120-Quadratmeter-Wohnung über dem berühmten Leierkasten verließ und in die Solmsstraße zog, richtete ein Klavierbauer in der Wohnung seine Werkstatt ein. »In einem der Zimmer lag auf dem Boden eine alte, zentimeterdicke Farbschicht«, erinnert sich der Nachmieter, der zum Zwecke einer ordentlichen Grundreinigung einen Eimer Wasser über die vermeintliche Farbschicht kippte. »Dann aber begann es sehr intensiv nach Hund zu riechen«. Woher Lessers große Liebe zum Hund kam, kann keiner mehr sagen. Sein Hund Trolly jedenfalls soll auf dem Tisch getanzt haben, wenn Lesser aus voller Brust Schumanns »Das Leben ist eine Lust« sang.

Auch Frauen liebte der Mann. Er war bereits 70 Jahre alt, als er eines Tages mit einer jungen, blonden Malerin auftauchte. Alle, auch der Klavierbauer, »dachten, es sei die Enkelin«, aber als die jungen Männer in der Nulpe ihr zu nahe kamen, stand der Hüne plötzlich kerzengerade am Tisch und sagte: »Kirsten, wir gehen!«

Lesser war gebildet, humorvoll und ein Sportler. Neben seinen Wurstenden und der Radierplatte hatte er immer auch eine Fotografie von sich in der Tasche, die ihn mit bloßem Oberkörper am Strand zeigte. Wolf Hoffmann erinnert sich, wie Lesser sich auf den Boden legte und Hoffmann mit seinen Bauchmuskeln wie auf einem Trampolin in die Luft schleuderte - »ein Spiel, das er auch gerne mit den zentnerschweren Damen beim Stettiner Bahnhof trieb.«

Rudi Lesser war, wie Klaus Märtens von der Galerie Taube schreibt, ein Mensch, der »eigentümlich abseits steht«, andererseits äußerst gesellig war. In den Zwanzigerjahren, als es den Leierkasten noch nicht gab, verbrachte er seine Abende im »Romanischen Café. Dort war die Welt offen«, traf sich die Boheme aus »Dichtern, Literasten, Malerberühmtheiten und Schauspielern.«. Geld spielte keine Rolle, nicht einmal für den Studenten Lesser. Er verstand die Kunst des »Kettenpumps«: Wenn er in plötzlicher Geldnot einen Freund fragen musste, bei dem er ohnehin schon Schulden hatte, dann bezahlte er von der »neuen Anleihe« zuerst einmal die Hälfte der alten zurück.

Doch Lesser war -nicht nur Lebenskünstler, er war ein echter Künstler. Schon die frühen Arbeiten des Studenten der Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst fanden den Weg in öffentliche Grafiksammlungen, er wurde zum Meisterschüler ernannt, ausgezeichnet, lernte George Grosz und Alfred Döblin kennen. Die Experten waren sich einig: Lesser gehörte »zu den begabtesten und hoffnungsvollsten jungen Grafikern … Deutschlands«, und ihm schien eine Karriere bevorzustehen.

Doch dann kamen die Nazis und brachen in das Atelier des überzeugten Kommunisten ein. Freunde warnten ihn, nicht in die Malerwerkstatt zurückzukehren. Er floh nach Dänemark, heiratete, bekam Kinder. Als die Nazis nachrückten, floh er nachts in einem Ruderboot nach Schweden, arbeitete als Holzfäller. Untergetaucht in den Wäldern begannen, sich die Freunde in Berlin Sorgen zu machen, Hoffmann erinnert sich: »Wir hörten nichts mehr voneinander für lange Zeit. Doch 1945, als wir abgemagert waren, kam eines Tages ein Engel von Briefträger und hatte eines dieser sagenhaften Care-Pakete in der Hand. Es kam aus New York, Absender: Rudi Lesser.«

Der Freund war emigriert, stellte in der Galerie der Berliner Fotografin Lotte Jakobi in New York aus und wurde 1848 Professor für Druckgrafik an der Howard University in Washington. Obwohl seine Werke schon in den Galerien und Museen an der Ostküste hingen, kehrte er 1956 in die Ruinenstadt zurück. Amerika, sagte er, sei eine »einsame und traurige Zeit« gewesen. »Berlin«, schrieb Hoffmann, war »für ihn immer noch die Hauptstadt seiner Welt.«

Hier wendet sich der Kommunist wieder dem »Leben der einfachen Leute« zu, den dunklen, aber auch romantischen Seiten der Stadt. Er zeigt Berliner Dächer, Straßen, Plätze, Menschen, geht auf Reisen in den Süden. Kreuzberg überlässt er anderen. Aber immer wieder tauchen auf seinen Bildern in irgendeiner Ecke, unter irgendeinem Tisch seine vierbeinigen, zotteligen Freunde auf.

Der große Erfolg blieb aus. Rudi Lesser wurde im Krieg vergessen, findet den Anschluss nicht mehr. Auch die Wanderausstellung 1978 bringt keinen Umbruch. Seinen Lebensabend verbringt er mit seinen Hunden und seinen Freunden beim Schachspiel. Jeden Abend sieht man im Fenster der Nulpe seinen Rücken, der sich über die Spielfiguren beugt. Tuula Tähtelä, die Frau des Klavierbauers, der einst in Lessers Wohnung zog, hat den Schachspieler porträtiert. Als er 1988 im Alter von 86 Jahren stirbt, kauft die Wirtin der Nulpe das Bild und hängt es über jenen Platz, an dem er immer gesessen hatte. Als auch sie stirbt, verschwindet auch das Bild. Nun aber zeigt die Browse Gallery am Marheinekeplatz die Grafiken eines »Künstlers, der noch zu entdecken sein wird«, wie Alf Trenk einmal über Rudi Lesser schrieb. •

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