Juli 2014 - Ausgabe 160
Strassen, Häuser, Höfe
Das Haus am Ende der Straße von Werner von Westhafen |
Am Ende der Bergmannstraße steht ein sehr großes Haus. Es ist so groß, weil es kein Haus für gewöhnliche Sterbliche, sondern ein Gotteshaus ist. Es hat gewaltige Mauern aus großen Sandsteinquadern, schwere Holztüren, die noch in handgeschmiedeten Angeln hängen und meistens verschlossen sind. Die Scheinwerfer, die das beeindruckende Gebäude einst anstrahlten, sind erloschen, die einst hellen Sandsteine sind schwarz vom Staub der Kohleöfen und vom Ruß der Verbrennungsmaschinen, die die Kirche am Südstern seit vielen Jahren umkreisen. >Die Idee zum Bau einer Kirche auf dem damaligen Kaiser-Friedrich-Platz kam von dem »evangelisch-kirchlichen Verein zur Bekämpfung der religiös-sittlichen Notstände«. Der Verein wollte mit Monumentalbauten an relevanten Orten dem rasant zunehmenden Sittenverfall entgegenwirken und die zentrale Rolle Gottes auch für die Zukunft sichern. So entstanden neben der Kirche am Ende der Bergmannstraße auch die Luther-Kirche am Dennewitzplatz und die prominenteste Kirche Berlins: die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Der Bau des 63 Meter langen, 28 Meter breiten Mahnmals mit einem 90 Meter hohen Turm auf dem heutigen Südstern war nicht billig. Deshalb suchte Kaiser Wilhelm II. nach einem Investor, und da nicht weit entfernt entlang des Tempelhofer Feldes die kaiserlichen Truppen ihre Quartiere und Leibesübungsplätze hatten, lag es nahe, dem Militär zur moralischen Stärkung der Truppen den Bau einer Garnisonskirche vorzuschlagen. Auf diese Weise wurde die Heeresverwaltung mehr oder weniger unfreiwillig zum Bauherren. Verwendet wurde nur bester Sandstein aus Schlesien und Alt-Warthau, und der Architekt war kein geringerer als Baurat Ernst August Roßteuscher, der am 18. April 1894 den Grundstein in den Sand am Ende der Gneisenaustraße legte. Drei Jahre lang wurde gebaut, am Ende war niemand überrascht, dass sich die Kosten für den Monumentalbau auf stolze 750.000 Reichsmark beliefen, weshalb der Kaiser auf seine Ersparnisse zurückgreifen musste. Da auch die katholischen Soldaten geistlichen Beistand forderten, wurde am 18. April 1894 nicht weit entfernt noch ein weiterer Grundstein für eine zweite, ebenso stattliche Garnisonskirche gelegt: die katholische St. Johannes-Basilika. Aber nicht nur die Grundsteinlegung, auch die Einweihung der beiden Kirchen fand am selben Tag, dem 8. Mai 1897 statt. Kaiser Wilhelm II. und Auguste Viktoria ließen es sich nicht nehmen, das halbe Heer in die Kirchen einmarschieren zu lassen: Die Ehrenkompanie des ‘Kaiser-Franz-Regiments‘ mit Fahnen und Standarten, das dritte Garde-Regiment, die Kürassiere, die Dragoner-Regimente, die Pioniere, die Eisenbahn-Regimenter mit den Luftschifferabteilungen und dem Garde-Train durften ihre Aufwartung machen. Für die Gottesdienste hatte sich die kaiserliche Familie in vorderster Reihe und gegenüber der Kanzel eine Ehrenloge mit separatem Eingang und Fußbodenheizung einbauen lassen und demonstrierte auf diese Weise eindrucksvoll und für alle Kirchenbesucher sichtbar die Einheit von Kirche und Staat. Auch das 100jährige Jubiläum feierten die beiden Garnisonskirchen gemeinsam, doch der Wunsch der um die Sittlichkeit besorgten Christen des evangelischen Vereins hat sich nur zum Teil erfüllt: Während sich die St. Johannes-Basilika sonntags noch großer Zuströme erfreut, verlor das evangelische Gotteshaus schon nach dem ersten Weltkrieg an Bedeutung. Die Garnisonen verzichtete auf Gottes Segen am Südstern, und die evangelische Gemeinde hatte genügend andere Kirchen in Kreuzberg zu beheizen. Als die Kirche im 2. Weltkrieg von Bomben getroffen wurde und russische Soldaten ein Orgelkonzert veranstalteten, indem sie auf die Orgelpfeifen schossen, schien ihr Schicksal besiegelt. Doch es gelang, einen Pächter zu finden: Die Berliner Stadtmission nahm sich des stolzen Bauwerks an, bis sie 1970 in die Johanniterstraße zog und Platz für die serbisch-orthodoxe Gemeinde machte. Zehn Jahre später verließen auch die Orthodoxen den Südstern, das Haus stand leer. Verschiedene Spekulanten interessierten sich für den Bau, die Kirche sollte zum Konzertsaal werden, dann zur Moschee. Ein Museum wollte einziehen, sogar ein Kino bewarb sich, um dort, wo einst Gottes friedliches Wort gepredigt wurde, rauchende Colts sprechen zu lassen. Der Retter erschien abermals in Gestalt eines Vereins: 1982 kaufte das von einem amerikanischen Wanderprediger gegründete Christliche Zentrum Berlin die verlassene Kirche. Das von der Hasenheide und der Gneisenaustraße umgebene Grundstück soll günstig gewesen sein, der Monumentalbau aber wäre für den kleinen Verein unbezahlbar gewesen. Erst einige großzügige Spender, die mit Gottes Hilfe und der Kraft seiner charismatischen Redner gewonnen wurden, konnten der kleinen Gemeinde des einstigen Wanderpredigers endlich zum eigenen Obdach verhelfen. Und so konnte am 29. Juni sogar der Ururenkel Kaiser Wilhelms II., der sich von der Politik abwandte und stattdessem Pfarrer wurde, noch in jener Kirche predigen, die sein Ururgroßvater einst so feierlich einweihte. • |