August 2014 - Ausgabe 161
Kreuzberger
Oskar Huth - Die Kunst der Unterhaltung
von Hans W. Korfmann
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Oskar Huth oder Die Kunst der Unterhaltung In einem Punkt sind sich alle einig: »Man konnte ihm nichts verübeln.« Dieser Mann durfte erzählen, was er wollte: man glaubte ihm nur zu gerne. Man hörte ihm andächtig zu, wenn er über Klaviere, Geigen, Orgeln, Drucktechniken, Literatur, Pferde, die Seefahrt oder das Militär dozierte. Wenn er in eine seiner Kneipen kam, wenn er bei einer Ausstellungseröffnung auftrat, auf einer Geburtstagsfeier oder auf einem Begräbnis erschien, erhellten sich die Gesichter. Es konnte Grabesstille herrschen: Oskar Huth belebte jede Szene. Und damit der bewundernswerte Unterhalter weiter und weiter erzählte, spendierte man ihm einen Schnaps nach dem andern, da standen die Gläser in langen Reihen auf der Theke des Leierkastens, der Nulpe, der Weltlaterne, des Zwiebelfischs, des Lusiada, all dieser weit verstreuten Lebensmittelpunkte, um die Oskar Huth mit der gleichen Regelmäßigkeit und in der gleichen Abhängigkeit kreiste wie Planeten um die Sonne. »Einen doppelten Klaren für Oskar!«, sagten die Freunde. Oskar sagte: »Eine doppelte Verklärung bitte!« Sein Vater war Klavierbauer gewesen, ein Handwerker. Auch der Sohn war geschickt. Oskar hätte gut von seiner Hände Arbeit leben können, er konnte drucken, malen, Möbel restaurieren, Bilder, Ausweise und Buttermarken fälschen. Sogar zur See soll er gefahren sein, und Klavierspielen konnte er. »Es war nicht Schubert, was er spielte, aber es hörte sich genau so an wie Schubert. Und es kam tatsächlich vor, dass jemand, der sich gut auskannte mit der Klassischen Musik, plötzlich sagte: Oh, das Stück von Schubert kenne ich noch gar nicht.« Doch so viele Talente er auch besaß, so viele Berufe er auch beherrschte: Nichts war so kunstvoll, nichts so genial wie seine Sprache. Susanne Wülfing erinnert sich: »Man hörte ihn am Nebentisch in der Kneipe reden, und seine Wortwahl war so ungewöhnlich, sein Wortschatz so reich, dass man gar nicht anders konnte, als sofort sich zu ihm hinzudrehen und ihm zuhören«. - »Eigentlich«, sagt einer seiner alten Freunde und kratzt sich verschmitzt das stoppelige Kinn, war er »der geborene Hochstapler.« - Doch zum echten Betrug fehlte ihm die Gier. Geld bedeutete ihm wenig. Wenn er es hatte, gab er es aus und lud alle ein. Wenn er es nicht hatte, dann lebte er von seinen Erzählungen. Und weil er des öfteren in Geldnot war, war die Gabe der Rede, sein Talent zur kunstvollen Unterhaltung sein höchster Trumpf und sein wertvollstes Kapital. Auch wenn man bei Oskar Huth nie recht wusste, was wirklich wahr war. So unwahrscheinlich klang vieles. Es war dieser Dschungel aus Dichtung und Wahrheit, in dem sich Oskar Huth am wohlsten fühlte. In diesem Dschungel gelang es Zweiflern nur selten, den Erzähler aufs Glatteis zu führen. Der Fundus seines Wissens, mit dem er seine Berichte untermauerte, war ein starkes Fundament, selbst gestandenen Seemännern konnte Huth vom Saragossameer oder vom Kreuz des Südens erzählen - auch wenn er die Sterne des Südens womöglich nie gesehen hatte. Und war er wirklich einmal am Ende mit seinem wunderbaren Latein, dann verstand der Gelehrte es, die Aufmerksamkeit plötzlich auf ein ganz anderes, viel spannenderes Thema zu lenken. Sollte aber jemand echte Zweifel äußern am Wahrheitsgehalt der Huthschen Erzählungen, dann konnte es passieren, dass er - auch wenn es sich um den engsten Freund handelte - zu Tode gekränkt »ein Jahr lang kein Wort mehr« mit dem Abtrünnigen wechselte. Nach Ablauf dieser Frist nahm er die Konversation wieder auf, als wäre nichts geschehen. Freilich hütete sich »Hütchen«, jemals wieder auf das heikle Thema zurückzukommen. Foto: Alf Trenk
Foto: Alf Trenk
Immer wieder verweist man in den Zeitungen auf seine Heldentaten: Das Fälschen von Buttermarken und Ausweisen, mit denen er während der Naziherrschaft im Untergrund nicht nur sein eigenes Leben rettete. Er war ein Widerständler, auch wenn er sich nie einer Organisation angeschlossen hatte und sich lieber alleine durchschlug, wobei er »in Notzeiten immer die Wahrheit« sagte – freilich »unter Verschweigung einiger wesentlicher Tatsachen.« Foto: Alf Trenk
Einen festen Wohnsitz, erzählen die Freunde, hatte Oskar Huth im Grunde nie. Er war ruhelos, heimatlos, ständig unterwegs, und stets zu Fuß. Als war, als lebte er noch immer im Untergrund, als fänden an den Bahnhöfen noch immer Ausweiskontrollen statt. So wie damals, als er »täglich nach einem ausgeklügelten Plan durch ganz Berlin lief, um diese Butterpäckchen an verabredeten Stellen abzugeben«, wie es eine Freundin beschreibt. Es scheint, als hätte er sich auch nach dem Krieg nie an einen festen Wohnsitz gewöhnen können. So wanderte er immer weiter, von Freunden zu Freunden, von Kneipe zu Kneipe, ein Leben lang. • |
Kreuzberger
Oskar Huth und die Kunst des Überlebens
von Alf Trenk
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Von Oskar Huth ging die Fama, er sei in sämtlichen Wissensgebieten bewandert – vom Klavierbau über alte Maltechniken bis hin zur Seefahrt. In die bunte Szene des gerade eröffneten Leierkasten schien er dennoch nicht so recht zu passen, dieser Vierzigjährige mit Bügelfalte, Fliege, Menjoubärtchen und elegant geschwungenem Spazierstock. Doch sein Gesicht weckte Neugierde. Es war frei von den Spuren des Krieges, voll urbaner Heiterkeit und mit einem frivolironischen Zug in den Mundwinkeln. Wie, und auf welcher Seite, hatte so einer die kritischen Jahre überstanden? Die Antwort liegt natürlich in seiner Biographie. 1939 bringt er mit schwejkscher List einen grimmigen Oberstabsarzt dazu, ihn dienstuntauglich zu schreiben. Zwei Jahre lang schützen ihn »kriegswichtige Tätigkeiten«, dann will man ihn abermals einziehen. Oskar Huth verschwindet aus Berlin und sorgt für Indizien, die ihn zu einem der vielen Bombenopfer werden lassen. Dann fährt er heimlich zurück in die Hauptstadt. Nach einem nomadenhaften Winter überläßt ihm eine abwesende Freundin ihre Wohnung. Oskar Huth alias Haupt organisiert eine zentnerschwere Druckpresse, schafft sie mit Hilfe des Blockwarts in seinen Keller und installiert dort eine perfekt ausgestattete Fälscherwerkstatt. Während die Luftschutzgemeinschaft den fleißigen Mann bewundert, der sogar des Nachts noch »kriegswichtige« Arbeit leistet, entstehen Ausweispapiere und Buttermarken für verfolgte Juden. Huth ist auch Mann genug, sich als Frau zu verkleiden, um die Butter dorthin zu schmuggeln, wo sie gebraucht wird. Glück, Nerven und Schlagfertigkeit begleiten ihn so bis ans Kriegsende, das er im Keller einer Freundin erlebt, umgeben von Flammen, Panik und sinnlosem Sterben. |