Kreuzberger Chronik
August 2014 - Ausgabe 161

Geschichten & Geschichte

Oskar kocht


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von Hartmut Topf

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Ist es gestattet, in die Erscheinung zu treten? So pflegte er sich anzukündigen, damals, als ich ihn kennenlernte, Ende der 50er Jahre in Berlin.

Der Gerichtsreporter Horst Cornelsen hatte ihn mitgebracht in unsere bunte Wohngemeinschaft. Der Rundfunkmann hatte an Oskar Huth einen Narren gefressen, weil er eine Wertmarke für eine BVG-Karte gefälscht hatte. Es war keine Wochenkarte, auch keine Monatskarte gewesen: Der Schalk hatte eine Drei-Wochen-Marke erfunden, war aufgefallen und vor den Kadi zitiert worden. Schließlich hatte sogar der Richter geschmunzelt, die Sache verlief glimpflich und führte zu wiederholten Begegnungen im Haus des Reporters, wo gern gut gekocht, gegessen und getrunken wurde.

Oskars Kochkünste waren berühmt, obwohl schon damals niemand mehr bezeugen konnte, je ein von Oskar gezaubertes Steak aus gutem, alten Packpapier gegessen zu haben. Das neuzeitliche braune Papier enthielt, so die Auskunft des Kochkünstlers, leider nicht mehr den echten Knochenleim. Von Oskars erhaltenen Rezepten habe ich nur die salzige Haferflockensuppe nachgekocht, mit Muskatnuss und eventuell einer kleinen Butterflocke. Immerhin, der Freund war unerschöpflich im Erfinden von Ausreden für geplatzte Gastmahle.

Was der Kochkünstler an einem Abend mit Freunden in meiner Bude servieren würde, blieb bis zum Ladenschluss Geheimnis. Ich kaufte in letzter Minute auf dem Wochenmarkt allerhand Zutaten, auf Verdacht und für alle Fälle. Die Gäste, ein halbes Dutzend, kamen erwartungsfroh gegen acht des Abends, der berühmte Koch aber war immer noch nicht da. Ich improvisierte dann selbst ein Abendessen, erst kurz vor Mitternacht klingelte das Telefon: Brüderchen, stell dir vor, ich repariere im Johannesstift in Spandau ein Klavier, oben im dritten Stock, und da haben sie mich eingeschlossen und vergessen. Soll ich jetzt noch kommen, was meinst du?

Für ein anderes Gastmahl im Haus unseres Freundes und Geigers Miguel Colom hatte Oskar in der Wohnung einer Freundin in Halensee etliche Töpfe und Pfannen vorbereitet, Salate und einen Braten. Ich hatte ihn nach einem Kneipenbesuch dort abgesetzt und versprochen, ihn am nächsten Tag mit meinem Auto abzuholen und die versprochenen Köstlichkeiten in die Winterfeldstrasse zu transportieren.

Doch ich kam vergebens, auf Klingeln und heftiges Klopfen reagierten nur irritierte Nachbarn. Also gab ich auf, kaufte eine Honigmelone und ging zu dem Freund, den Oskar einen spanischen Edelmann nannte. Nun ja, wir frühstückten ein wenig und gingen in die Nationalgalerie, um eine Ausstellung zu sehen. Später erhielten wir die Botschaft, dass unser Koch mitten in der Nacht von unvorstellbar heftigen Zahnschmerzen geweckt worden war, in seiner Not ein Taxi gerufen hatte, zu einer Pfarrersfamilie im Johannesstift gefahren war, die ihn auslösen musste. Als Gegenleistung, denn er entbehrte ja der Münze, wie er sagte, hatte er den Braten mitgenommen. Pfarrersleute haben ja öfter Gäste und können so etwas immer gebrauchen... . •


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