August 2014 - Ausgabe 161
Literatur
Überlebenslauf - Oskar Huth ![]() von Alf Trenk |
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Es war am ersten Mai 1945. Bis zum zweiten Mai wurde noch gekämpft in der Strecke von der Corneliusbrücke, Budapester Straße bis zur Uhlandstraße. Da stand noch SS in der Meinekestraße, und die Russen kamen vom Kurfürstendamm her. Dann wurden sie wieder zurückgedrängt, und die SS kam die Meinekestraße `rauf. Im zweiten Hofeingang von Ilse Vogels Haus hatten die Panzergrenadiere etliche Tonnen Sprit gestapelt. Da ging eine russische Panzerfaust `rein und jetzt brannte alles hoch. Wir waren im Keller, und über uns brannte alles ab. Das Haus brach langsam zusammen. Ilse zog ihre Zyankalikapseln `raus und sagte: »Hier kommen wir nicht weg. Eh´ das über uns einstürzt, machen wir´s lieber!« Ich sagte: »Ilse, das lassen wir. Leben wir ein bisschen länger.« Na ja, nun fiel das Haus langsam zusammen. Ich versuchte, die Leute zu beruhigen: »Soll es doch stürzen. Der Keller wird auf jeden Fall halten«. Aber die Beunruhigung war kolossal. Verschiedene wollten `raus. Es war ein Mann im Keller, zu schätzen so um die Fünfzig. Ein widerwärtiger Nazi und Einpeitscher. Der saß im Rollstuhl, und den mussten wir ständig woanders hinschieben. Der machte nun den Vorschlag: Alle sollten sich weiße Armbinden umtun. Die würden schon die Schießerei einstellen, wenn wir durch das Kellerfenster auf die Straße stiegen. Ich war dagegen und sagte: »Sobald hier jemand `raussteigt, kriegt der sofort Zunder von beiden Seiten!« Denn die schossen ja aufeinander. Die hätten dann zugleich den Kampf einstellen müssen, und das lag nicht in der Luft. Aber dieser Kerl kommandierte und sagte zu einer Frau: »So, Sie nehmen jetzt Ihr Kleinkind auf den Arm und gehen `raus!« Die Frau kam gerade so weit ´raus, dass der Hintern noch drin war – da patschte das schon, und da waren sie und ihr Kind tot. Wir haben sie dann an den Beinen zurückgezogen. Und dieser Wahnsinnskerl blieb weiter dabei: Das sei eben noch nicht deutlich genug gewesen. Wir müssten eine weiße Fahne nehmen und sie werden das Feuer einstellen. Wir können hier nicht verrecken, wir müssen raus! So… Unter den Leuten im Keller war ein junger Franzose, der hier arbeitsverpflichtet war und den ganzen Wahnsinn spürte, auf die Befreiung hoffte. Der und ich, wir haben diesem Nazi eingeredet: Dahinten wär´ noch eine Tür offen. Wohin sie führt, das wollten wir jetzt mal ausprobieren. Er sollte mal mitkommen, die Sache überschauen. Wir nahmen den also mit. Aber diese Tür, die schon heiß war – dahinter gab es nichts mehr. Da brannte es schon. Da machten wir auf, und weg mit dem Stuhl. Da war einer weniger da. - • Oskar Huth, Überlebenslauf, Merve Verlag, ISBN: 978-3-88396-164-41, 13,00 € |