September 2013 - Ausgabe 151
Geschichten & Geschichte
Julius Rodenberg von Hans W. Korfmann |
Er war ein Berliner. Aber er bewahrte sich den neugierigen Blick des ewigen Reisenden. Julius Rodenberg war kein Kreuzberger. Er wohnte am Schöneberger Ufer, Kreuzberg lag auf der anderen Seite des Kanals. Aber Rodenberg war ein Flaneur, der nach alter Manier die Stadt durchwanderte, und er war oft am Kreuzberg. Unter den vielen Streifzügen und Eindrücken, die er in drei Bänden mit »Bildern aus dem Berliner Leben« zusammengefasst hat, ist einer der ersten ausschließlich der Gegend am Kreuzberg gewidmet. Kaum einer hat die Landschaft am kahlen Sandberg Mitte des 19. Jahrhunderts eindrucksvoller beschrieben als der verkappte Reisejournalist Rodenberg. Julius Rodenberg war kein Kreuzberger, und er hieß auch nicht Julius Rodenberg, er kam lediglich aus einem Städtchen namens Rodenberg. Eigentlich war er Isaak Levy, der älteste Sohn des jüdischen Kaufmanns Simon Levy. Es war der Berliner Literat und Salonlöwe Karl August Varnhagen von Ense, der dem talentierten jungen Schriftsteller dazu riet, aus dem Isaak einen Julius zu machen und vom jüdischen Glauben abzulassen. Man schrieb das Jahr 1854, die Vorboten antisemitischer Haltung waren auch in den gebildeten Kreisen Berlins zu spüren. Tatsächlich stellte Isaak Levy beim Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. von Hessen-Kassel einen Antrag auf Namensänderung, dem auch stattgegeben wurde. Zum Christentum konvertierte auch Julius Rodenberg dennoch nie. Der junge Rodenberg »wanderte« nach Studien in Heidelberg, Göttingen und Marburg und ersten literarischen Versuchen am 20. Oktober 1853 »im vollsten Sonnenschein in Berlin ein«. Er verkehrte mit Gottfried Keller und den Brüdern Grimm und dem Verleger Franz Duncker. Nach seiner Promotion ging er auf Reisen, besuchte in London seine Schwester, die Karl und Jenny Marx kennengelernt hatte, fuhr nach Paris und Triest, wo er die Frau seines Lebens traf. Schon bald gab er das altmodische Verseschmieden auf, das in Varnhagens Salon noch immer modern war, und begann mit dem Verfassen von feuilletonistischen Reise- und Wanderskizzen, die, wie Meyers Konversationslexikon aus dem Jahre 1890 weiß, »ihrer frischen Lebendigkeit und eines gewissen poetischen Hauches« wegen schnell eine Leserschaft fanden. Anfang der Sechzigerjahre kehrte er zurück nach Berlin, arbeitete als Redakteur bei verschiedenen Blättern und gab gemeinsam mit Ernst Dohm, dem Redakteur des Kladderadatsch (vgl. Kreuzberger Nr. 124 u.143), den »Salon«, ein Monatsmagazin für Literatur, Kunst und Gesellschaft, heraus. Zu den Autoren gehören große Namen: Theodor Fontane, der Literaturnobelpreisträger Paul Heyse (vgl. Kreuzberger 128), Theodor Storm und sogar Iwan Turgenjew. Schon Anfang der Sechziger gibt er mit dem »Deutschen Magazin« eine eigene »Unterhaltungszeitschrift« heraus, aus der 1874 eine »Deutsche Rundschau« wird, die zu den ‚bestgelungenen Journalgründungen in Deutschland‘ gezählt wird. 480 orangefarbene Ausgaben erscheinen, die er alle selbst redigierte, und die ihm anlässlich des 25. Jahrgangs den Professorentitel einbrachten. Immer wieder hatte er in seiner Publikation mit Erstveröffentlichungen bekannter Autoren aufwarten können, darunter Theodor Storms »Schimmelreiter«. Gottfried Keller schrieb für ihn, und Theodor Fontane publizierte gleich drei seiner Romane als Fortsetzungsgeschichte in Rodenbergs Journal. Rodenberg selbst veröffentlichte in seiner Zeitschrift die »Bilder aus dem Berliner Leben«. Vielleicht waren sie sein Lebenswerk – er saß vier Jahre daran. Es waren aber nicht die Salons und Theater und die feinen Gegenden Berlins, die ihn interessierten, es war die Stadt der einfachen Leute. Rodenberg wanderte durch die Stadt, »als sich die Weinberge und Blumenfelder in Mietskasernen und Arbeiterviertel verwandelten.« Er hält nicht viel von den »späten Gesellschaften«, begibt sich nur ungern unter den »Haufen geputzter Damen und Herren, die mir (und meistens auch sich untereinander) gleichgültig und langweilig sind.« Er geht gern zeitig los und sieht die »Frühen Leute« zur Arbeit eilen.« Auch ihnen widmet er ein ganzes Bild, es heißt »Die frühen Leute«. Im Oktober 1883 schreibt er über die Gegend am Kreuzberg. Er flaniert durch die schönen Sträßchen am Chamissoplatz, schreitet durch die idyllische Kleine Parkstraße, deren Eingang so versteckt zwischen den Fassaden liegt , dass man ihn kaum findet, und spaziert dann über den sandigen Kreuzberg bis zur Kreuzbergstraße hinab »in die Wirklichkeit, und zwar in eine, die auch ihre Überraschungen hat. Denn diese Vorstadt ist noch weit davon entfernt, vollständig ausgebaut zu sein. (...) Hier kann man Berlin wachsen sehen.« Rodenberg hat mit seinen Beschreibungen etwas festgehalten, das für viele seiner journalistischen Kollegen ebenso wie für die Objektive der ersten Fotografen nebensächlich schien. Es ging ihm um mehr als nur das Lokalkolorit. Seine ausgeprägte Reiselust, sein erweiterter geographischer und kultureller Horizont, unterschieden ihn von anderen Schreibern. Julius Rodenberg mit seinen ebenso distanzierten wie einfühlsamen Reportagen und Bildern war ein verkappter Reisejournalist, anscheinend nur zufällig unterwegs in Berlin. Es fehlte ihm, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die Liebe zum Lokalpatriotismus. Als er starb, schrieb die Vossische Zeitung: »Vielleicht gerade, weil er kein Berliner war, ist er auf Straßen und Plätzen der Stadt mit der gleichen andächtigen Aufmerksamkeit herumspaziert, die er als fahrender Journalist den fremden Weltstädten entgegenbrachte.« • |