Kreuzberger Chronik
September 2013 - Ausgabe 151

Essen, Trinken, Rauchen

Sas in der Chocolateria Sünde


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von Saskia Vogel

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Sas bewundert Gründerinnen. Vor allem die Chefinnen eigener Puppenstuben-Cupcake-Cafés. Bei diesen Ein-Frau-Mini-Café-GmbH&Co-KGs sind nämlich die pinkfarbenen Mädchen-Pâtisserien besonders beliebt: Mit kitschigem Mobiliar, Blumentellern und Sahnehäubchen auf der »Tarte«. Denn mit solchen »Schoki«-Streuseln wird gerade ganz Kreuzberg berieselt.

So auch bei »Fräulein Wild« mit ihren »Beeindruckertorten« in der Dresdener Straße. Gleich hinter dem ranzigen »Riegel«. Die süße Mittzwanzigerin Anna-Maria Wild hat ihre Café-Gründung vom Businessplan bis zum Eröffnungssekt in einem Blog dokumentiert, denn »…alle im Bezirksamt Kreuzberg waren sooo nett, ehrlich!« Zunächst gab es wohl »schweißtreibende« Mietverhandlungen, dann aber wurde das Fräulein »unglaublich doll« belohnt: »Wir hatten soo viele richtige Gäste und dann auch noch so tolle! ... Danke an alle, die so hübsch an unseren Tischen saßen ;-)« Auch die »nette Presse!!« hatte wohl über das Café berichtet »… eine ganze Seite!!! Wahnsinn! Vielen Dank! ... Ach, die Welt ist so gut zu uns... Wuuuuuiiiii!«

Sas muss manchmal tief durchatmen. Eigentlich bewundert sie ja diese Gründerinnen. Auch Gründerinnen von Kuschel-Cafés. Aber Cupcake-Miezen, die selbst die Büroarbeit rund um ihr Café »immer, immer wahnsinnig aufregend« finden – die kann Sas beim allerbesten Willen nicht nett finden. Auch nicht, wenn eine Chocolateria sich Chocolateria Sünde nennt und am Heinrichplatz liegt. Auch wieder so ein Zimtstern-hab-mich-lieb-Café. Inhaberin ist die Geschäftsfrau Naciye Kilic, die als Migrantenkind bereits in jungen Jahren Gründergeist bewies. Engelsbüsten auf der Torten-Vitrine, Marienbilder an der Wand und die Linzer Torte kommt mit Herzchen-Dekor daher. Dazu trinkt Sas einen »Lebensfreude«-Tee. Und ist verdrießlich. Muss sie in dieser heilen Welt tatsächlich sitzen? Auch auf der Chocolateria-Facebook-Seite geht es klebrig zu: »Cupcakes … uuunnnndd die spanische Schokolade!!!! Freuen uns auf Euch!« Sas könnte einen kalten Waschlappen nehmen und …

… dann aber fällt ihr auf: die »Chocolateria« ist gar nicht so furchtbar »sweet, sahne und so«. Hier hat längst schon die Ruppigkeit von SO36 Einzug gehalten. Es bedient eine tätowierte Frau mit Seppelhut, die nicht zum Kotzen grinst. Die Vintage-Stehlampe ist eher schmuddelig, und daneben, völlig unmotiviert in der Ecke, steht der Feuerlöscher. Die Salsa-Musik hat nichts zu tun mit den Großmutter-Flohmarktbildern, und die Toiletten bleiben für die Gäste gesperrt, selbst wenn man nett fragt. »Nö, hat die Chefin verboten!« Wuuuuuiiiii! Eine echt kantige Kreuzberger Antwort. Sas ist endlich zufrieden. Die »Chocolateria Sünde« ist keine unerträglich heile Welt. Sie ist ein Sweatheart mit ruppigem Herz. Und das ist unserer Sas von der unglaublich netten Presse doch glatt eine ganze Seite wert. •


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