November 2013 - Ausgabe 153
Essen, Trinken, Rauchen
Sas in der Kaffeebar von Saskia Vogel |
Acht Uhr morgens, Herbstregen. Die Kaffeebar hat geöffnet. Als erstes schnappt sich Sas vom Tresen einen Keks. »Einen Chai Latte bitte. Aber stress´ dich nicht, ich habe Zeit.«, sagt Sas zum Tresenjungen. Der Zimtmilchtee kommt dann im Pappbecher zum Mitnehmen – dabei will Sas doch eigentlich bleiben. Der Barjunge entschuldigt sich. »Sorrysorry, ich bringe ihn gleich im Glas, sorry, also tut mir ...« - »Schon gut.« Sas´ Schuhe sind nass, einer der müden Gäste hat Haarwolle auf dem Kopf, in der sich gelbes Herbstlaub verfangen hat. Nur ein paar Pappnasen hocken in der Kaffeebar herum. Man beäugt sich, ignoriert sich. Sas hat einen sehr hohen Tisch mit entsprechend hohem Gestühl gewählt. Eine Empore. Die geröteten Augen eines ungeduschten Kapuzenpulliträgers blicken sie von den unteren Sitzbänken an, als würden sie um Verzeihung bitten für die durchsoffene Nacht. Ein durchnässter Poncho, mit Frau darin, kommt herein. Lädt einen Rucksack ab. Mit der Hand wird das Haar durchwuschelt, Schuppen rieseln zu Boden und auf den Poncho. Der Knirpsschirm wird tropfend ausgeschüttelt, trifft dabei den mitgebrachten Labrador am Po. Das Tier verstaut die Frau unter dem Tisch, den Hundehaarknirps stellt sie zum Ausdünsten in die Ecke. Hingesetzt, die Frau zieht die Beine an. Stützt die Gummistiefel-Profilsohlen auf der Sitzfläche des Stuhls ab. Dazu muss sie die Schenkel öffnen. Vom bestellten Cappuccino leckt die Frau den Löffel ab. Die Kaffeebar ist eine Erdgeschosswohnung. In der Vitrine liegen »Crumble«-Küchlein, Banana Bread, Panini mit Schinken. Da nimmt neben Sas ein Altkleiderhändler Platz. Ein Mann, der einen auf Hippie macht und sein Gesicht durch einen Vollbart verunstaltet. Khaki-Hosen, ein glänzender Rollkragenpullover. Es müffelt sofort. Der Hippie lädt ab: Eine Ledertasche. Einen Fahrradhelm mit Kopfhautfett. Ein braunes Umhängetuch, nicht nur von der zweiten Hand, sondern von unzähligen Händen verschlissen. Setzt sich, grabbelt mit Studentenfingern am Zuckerspender herum, kratzt sich im Bart, gähnt. Fummelt an seiner Nase, so, als würde das Geschäle die Revolution anfeuern. Sas mag den Geruch nasser Wolle nicht. Sie möchte gehen. In diesen nassen Herbstmorgen hinaus, um irgendwo in Hundekacke zu treten. Sie pult mit blanken Fingern die Schale vom Ei, zieht mit Fingernägeln die Rinde vom Käse. Auf ihrem Teller bleiben zurück: Angedrückte Butter, ein angefressenes Scheibchen Salami, die Stiele von den Weintrauben. In ihrem Kopf bleiben zurück: Einige Worte für ein Gedicht. Ganz aufgeregt schreibt sie in ihr Notizheft. Vor lauter Aufregung hat sich Sas die verschorfte Wunde am Armrücken wieder aufgerissen. Und ihre Unterlippe weich geknetet. Und sich mindestens vierzig Mal am Kopf gekratzt. • |