Kreuzberger Chronik
November 2013 - Ausgabe 153

Reportagen, Gespräche, Interviews

Kampf um die Tempelhofer Freiheit


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von Hans W. Korfmann
Fotos: Dieter Peters


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Selbst Politiker sinnieren: Warum nicht alles so lassen, wie es ist? Doch es widerspricht dem Selbstverständnis einer Politik, die sich als regierende Klasse versteht, diese Fläche dem Volk zu überlassen.



Es müssen 174.000 Stimmen werden bis zum 13. Januar, damit das Volksbegehren Erfolg hat. Dann würde es zu einem Volksentscheid über die Zukunft einer der größten innerstädtischen Freiflächen weltweit kommen. Würden 25 % der Berliner sich in dieser Abstimmung dafür aussprechen, dass die große Steppe in ihrer Gesamtheit erhalten bleibt, dann stünde der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit vor der Wahl, sich entweder dem Willen der Berliner zu beugen, oder diktatorisch über ihr Votum und das Gesetz hinweg 50 Hektar der Tempelhofer Freiheit dennoch zu bebauen. So, wie es die Bebauungspläne des Senats mit den Nummern 7-70 und 7-71 vorsehen.


Foto: Dieter Peters
Seitens der Kritiker an den Senatsbauplänen wird befürchtet, dass der Volksvertreter Wowereit im Fall eines Volksentscheides Hintertürchen und Gesetzeslücken finden könnte, um die Meinung des Volkes zu ignorieren, falls ihm diese im Wege steht. Bereits 2008, als die Berliner darüber abzustimmen hatten, ob der Flugbetrieb von Tempelhof aufrecht erhalten werden soll, hatte der Mann mit dem freundlichen Bubihaarschnitt deutlich gemacht, dass er nicht verpflichtet sei, sich dem Willen des Volkes zu beugen. Dass der regierende Bürgermeister auch 2014 kein Verständnis für die Träumereien einiger romantischer Großstädter zeigen wird, liegt nahe: Mit einer Bebauung der Ränder des neuen Parks hätte der ehrgeizige Stadtvater die Chance, zumindest die Spitze jenes Schuldenberges, den er beim Fehlstart des neuen Berliner Flughafens angehäuft hat, abzutragen.

Am liebsten wäre ihm deshalb, wenn es erst gar nicht zu einem Volksentscheid käme. Also wird alles dafür getan, die Pläne vor der breiten Öffentlichkeit zu verbergen. Damit die Berliner erst gar nicht dazu kommen, zu sagen, was sie meinen. Zwar ist alles, wie vorgeschrieben, im Internet und im Ministerium einzusehen, - »Jeder, aber auch jeder, der sich informieren möchte, hat die Möglichkeit dazu« - doch auf dem Gelände, das den irreführenden Namen »Tempelhofer Freiheit« trägt, gibt es kaum exakte Informationen über die Bebauungspläne. Auf den Tafeln an den Seiten der Landebahnen werden die zukünftigen Quartiere nur dezent angedeutet. Dennoch stehen immer wieder kleine Gruppen erstaunter Besucher davor: »Soll alles, was hier grau ist, bebaut werden?« – »Sieht so aus!« – »Das ist ja fast ein Drittel?« – »Sieht so aus.«- Die meisten, die realisieren, was geplant ist, sind entsetzt.

Foto: Dieter Peters
In einer Ausstellung, die versteckt im Innenbereich des Flughafengebäudes gezeigt wird, haben die Visionen der Architekten bereits eine bedrohliche Gestalt angenommen. Bis zu zehn Stockwerke mit Ausblick auf den Park könnten gebaut werden. Für den Senat, der 2010 durch die Investition von 35 Millionen Euro Steuergeldern zum alleinigen Besitzer des Areals geworden ist, eine wünschenswerte Alternative zur nutzlosen Steppe. Ganz im Jargon der Immobilienhändler spricht er von einem »attraktiven Angebot« in einer »verkehrlich gut erschlossenen Innenstadtlage«. Auch wenn es ursprünglich stets hieß, eine Privatisierung des Flughafengeländes sei ausgeschlossen.

Bausenator Michael Müller kann sich an derartige Aussagen nicht erinnern. In der heimlichen Ausstellung der neuen Pläne wird er im Großformat zitiert: »Wir haben immer gesagt, dass wir die Ränder des Tempelhofer Feldes bebauen wollen.« Auch Müllers wagemutige Behauptung, 50% der Fläche für die Errichtung von Mietwohnungen zu »Preisen von 5-8 Euro« den Quadratmeter zu nutzen, dient kaum der Beruhigung kritischer Beobachter. Schon ein Blick in den Mietspiegel beweist, wie unrealistisch Müllers Preisvorstellungen sind. Und natürlich weiß niemand besser als der Bausenator, dass Kreuzberg, Neukölln und Tempelhof »im Zeitraum 2000-2009 als Wohngebiete« ganz besonders begehrt waren, wobei Kreuzberg »mit 7,5% die zweithöchste Bevölkerungszunahme aller Berliner Bezirke« aufwies. Doch der daraus abgeleitete Schluss, nur »die Tempelhofer Freiheit mit einem Wohnungsbaupotential von bis zu 4.700 Wohnungen« könne «einen maßgeblichen Beitrag« zur Linderung der vermeintlichen Wohnungsnot leisten, ist ein Trugschluss. Es gibt Alternativen.

Selbst die vom Senat beauftragten Gutachter kamen zu dem Schluss, dass »derzeit an 535 integrierten Standorten Baureserveflächen für Wohnen und Gewerbe von insgesamt 2.900 ha« zur Verfügung stehen, wobei Flächen unter einem Hektar gar nicht berücksichtigt wurden. Doch Alternativen sind nicht gefragt. Längst existiert ein Masterplan. In poetischen Worten, die nichts mit der Realität der aktuellen Planungen zu tun haben, versucht Michael Müller den Berlinern seine Zukunftsmusik zu verkaufen, schwärmt von neuen »Stadtquartieren, die im Zusammenspiel mit dem freien Feld ein ganz neues städtisches Gefühl ermöglichen. (...) Die Tempelhofer Freiheit wird zu einem Vorbild der Stadt von Morgen.«

Foto: Dieter Peters
Zu viel hat die Stadt bereits investiert, um noch von ihren Plänen abzuweichen, und rechnet vor, wie teuer es den Steuerzahler käme, wenn nicht im Mittelpunkt der Stadt, sondern dezentral gebaut wird. Penibel wird vorgerechnet, wie viele zusätzliche Kilometer die Berliner auf ihren täglichen Wegen zurücklegen müssten, wenn sie nicht von der Mitte aus zur Arbeit, zur Schule, zum Bahnhof fahren können. Faktoren wie erhöhter Benzinverbrauch bis hin zu solch spekulativen Posten wie einer erhöhten Unfallgefahr fließen in die Berechnungen ein, so dass der Senat für die kommenden fünfzig Jahre auf einen »volkswirtschaftlichen Schaden« in Höhe von 298 Millionen Euro kommt, falls »die Bebauung nicht an diesem Ort stattfindet«. Die Initiatoren des Volksbegehrens kommen mit ihren Berechnungen nur auf ein Drittel dieses Betrages.

Doch so groß diese Zahlen auch sein mögen: Es sind Peanuts im Vergleich zu Fehlinvestitionen wie der des neuen Flughafens. Es geht auch gar nicht um diese Zahlen. »Es geht«, sagt ein Bürger, der sich nur mühsam von den hölzernen Sitzreihen der Passionskirche erheben kann, » um einen Ort, der das Potential für ein UNESCO-Weltkulturerbe hat!« - »Es gibt schon viele schöne Gärten in Berlin«, sagt ein anderer. »Aber so etwas wie Tempelhof gibt es nicht noch einmal.«- »Ich war gestern mit meinen Drachen auf dem Feld. Als ich vorhin die Pläne von zehnstöckigen Hochhäusern sah, kamen mir fast die Tränen!« Dann ergreift ein Schrebergärtner das Mikrophon, der den Dialog mit den Planungsgesellschaften gesucht hatte. »Ihr kommt hier weg!«, hatte man ihm gesagt. »Aber so kann man nicht mit uns umgehen!«

Foto: Dieter Peters
Es sind nur etwa 100 Personen, die an einem regnerischen Donnerstagabend den Weg in das Kirchenschiff gefunden haben. Vor einigen Jahren, als es um die Markthalle ging, hatten Plakate auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht, die Ränge waren voll wie zu Weihnachten. Doch die Kleingärtner vom Flugplatz, die Demokratische Initiative 100% Tempelhof e.V. und der Mieterrat Chamissoplatz, die zu dem »Hearing« eingeladen hatten, verzichteten auf die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit. Kein Plakat, lediglich ein paar vereinzelte Flugblätter hatten auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht. Es ist November, und nicht einmal die Hälfte der 174.000 Stimmen ist bisher zusammengekommen.

Auch Hermann Barges von der Initiative 100% Tempelhof, die das Volksbegehren einst auf den Weg brachte, ist skeptisch. »Aber wenn 25% der Bevölkerung, also etwa 650.000 Berliner, im Volksentscheid dagegen sind, haben wir gewonnen. Ein Volksentscheid wäre für den Senat bindend.« Und dann rechnet Barges vor, dass allein aus den vielen verschiedenen Interessengruppen – von den Gärtnern über die verschiedenen Sportler bis hin zu den einfachen Spaziergängern - , schnell eine Million Stimmen zusammenkämen. Doch leider wissen viele gar nicht, was geplant ist. »Dabei spricht der Senat immer so groß von der Bürgerbeteiligung«, sagt eine grauhaarige Frau, die weder wie eine Inlineskaterin, noch wie ein Gärtnerin aussieht. Sie scheint zu keiner jener Gruppen zu gehören, die das Feld für sich haben möchten. Sie zitiert aus der Werbebroschüre des Senats, die von einer »Ideenwerkstatt«, einem »intensiven Beteiligungsprozess« mit »öffentlichen Veranstaltungen« und »Busrundfahrten über das Gelände« schwärmt. Davon hat kaum jemand etwas mitbekommen. »Das ist der pure Hohn. Es wird getan, als hätten wir die Möglichkeit einer Einflussnahme und einer Mitbestimmung. Aber wir erfahren jedesmal viel zu spät, was eigentlich genau geplant ist. Wenn wir dann Einspruch erheben, sind die Fristen längst abgelaufen.«

Auch einige andere Redner bringen es an diesem Abend auf den Punkt. Im Fall »Tempelhofer Freiheit« wird die weit verbreitete »Zwiebeltaktik« der Informationspolitik angewendet. Die Wahrheit gibt es scheibchenweise. Von Demokratie und Mitbestimmung zu sprechen, ist eine »Unverschämtheit«. Michael Müller »sollte man zum Teufel jagen.« Und »die Tatsache, dass die Zerstörung nicht mutwillig, sondern gutwillig erfolgt, macht die Sache auch nicht besser.«

Herr Pallgen, der Pressesprecher der Tempelhof-Projekt-GmbH, der kurz vor der Pause noch einmal deutlich gemacht hatte, dass er zum Dialog durchaus bereit sei, hat das Kirchenschiff längst wieder verlassen. Er hört das alles nicht mehr. Auch die ehemalige Grün Berlin GmbH, die gerade in eine privatrechtliche Stiftung überführt wurde, hört nicht, was hinter den Kirchenmauern gesprochen wird. Sie verkündet stolz, dass bereits die ersten Bäume auf dem ehemaligen Flughafen gepflanzt wurden. Zehntausende sollen es werden. Vor lauter Nachwuchs wird man die alten Bäume, die sich fünfzig Jahre lang ungehindert ausbreiten konnten, und die heute so eindrucksvoll aus der weiten Ebene ragen, bald nicht mehr sehen können. Grün Berlin wird diese einmalige, innerstädtische Naturlandschaft langsam, aber unaufhaltsam, in einen üblichen Stadtpark verwandeln, der dem von Wiesbaden und Osnabrück gleicht. Die große freie Fläche, die heute noch von Horizont zu Horizont zu reichen scheint, wird Stück für Stück bebaut und bepflanzt werden. Ein bis zu hundert Meter breiter, zehnstöckiger Betonriegel wird um den grünen Smaragd der Stadt gezogen. Ein massives Stadtquartier im Osten, sowie eine durchgehende Bebauung der Westseite und der Südseite schließen das Gelände des zukünftigen Parks beinahe komplett ein. Lediglich die Nordseite ist von den Planungen ausgeschlossen. Vorerst. Denn »die Flächen entlang des Columbiadamms dienen als Potentialflächen für zukünftige Entwicklungen.« Nur »mittelfristig wird das Areal für Sportflächen und kulturorientierte Zwischennutzungen zur Verfügung stehen.« Langfristig wird es ein Teil der Traumstadt werden. So steht es geschrieben. Leider haben die wenigsten es aufmerksam gelesen. •



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