Mai 2013 - Ausgabe 147
Reportagen, Gespräche, Interviews
Der Westpark am Gleisdreieck von Michael Unfried |
Im Sommer 2011 wurde der östliche Teil des Parks am Gleisdreieck eröffnet. Jetzt ist auch der Westteil zu besichtigen. Norbert Rheinlaender hatte es befürchtet: Er würde so schnell nicht zur Ruhe kommen. Wenn der Park im Osten des Gleisdreiecks erst einmal eröffnet und von Politik und Zeitungen gelobt werden würde, dann könnten die Landschaftsarchitekten im westlichen Teil des Geländes womöglich weitgehend unbeobachtet tun und lassen, was sie wollen. Und weil Landschaftsarchitekten am liebsten eine Fläche vor sich haben, die so flach und leer ist wie das Blatt Papier, auf dem sie zeichneten, bevor die Computerbildschirme in ihr Leben traten, und weil Landschaftsarchitekten an jedem Quadratmeter verdienen, den sie umgraben und gestalten, war zu befürchten, dass die von der Stadt beauftragten Gartengestalter nichts so lassen würden, wie es war. Dass sie im Westen das machen würden, was ihnen im Ostteil des Parks am Gleisdreieck noch verwehrt wurde, weil Norbert Rheinlaender als Abgeordneter der Bürger und Anrainer mit am Planungstisch saß und um jeden Baum, den die Architekten fällen wollten, kämpfte. Nur ihm ist es zu verdanken, dass nicht schon auch im Ostpark alles plattplaniert und zum üblich-langweiligen Stadtrasen wurde. Obwohl sich 85 Prozent der Anwohner laut einer Befragung gegen einen Designer-Park und für ein Stück wilder Natur vor ihrer Haustür ausgesprochen hatten. Tatsächlich hat das Architekturbüro, das sich Atelier Loidl nennt, im Westen seine Pläne weitgehend umsetzen können. Von der wilden Steppe aus hohen Gräsern, die sich während eines halben Jahrhunderts zwischen den S-Bahnbrücken ausbreitete, ist trotz heftiger Proteste einiger Bewohner nur noch ein winziges Stück geblieben. Und auch diese letzte Reminiszenz an die Schönheit natürlicher Landschaft wird den Baggern zum Opfer fallen und einem gepflegten Rasenfeld weichen. Kaum ein Baum, kein Strauch, kein einziger Grashalm wird am Ende geblieben sein von einem kleinen innerstädtischen Biotop, das 68 Jahre brauchte, um allmählich zu jener einmaligen Stadtlandschaft heranzuwachsen, die nach und nach von Vögeln, Hasen, Füchsen und Millionen summender Insekten bevölkert wurde. Auf dem Westgelände haben das Atelier Loidl und die senatseigene Grün Berlin GmbH einmal mehr bewiesen, wie wenig Verständnis sie für natürlich gewachsene Landschaften und die Bedürfnisse der Städter haben. Wenn im Juni der etwa 10 Hektar große Schöneberger Teil des Parks eröffnet wird, werden die Besucher vieles vermissen, was sie im Ostteil noch vorfanden: die kleinen Baumgruppen, das kleine Wäldchen, die großen Spielplätze. Im Westen wurde vor allem planiert. Bis zu 1,5 Meter des Bodens wurden abgetragen, die fruchtbare, alte Grasnarbe herausgerissen, um eine Fläche zu schaffen, plan, langweilig, scheinbar unschuldig. Eine monotone Allerweltsgrünfläche, durchzogen von geraden Linien aus Beton, vorgeschriebenen Bahnen für Radfahrer, Skater und Fußgänger. Eine Fläche, minimalistisch dekoriert mit kerzengerade wachsenden Halbstämmen, die an die kleinen Figuren von Modelleisenbahnen erinnern, und die eher den Eindruck einer Ödnis als einer Parklandschaft erwecken. Während im Ostpark immerhin eine Skaterbahn und ein Basketballplatz entstanden, während an der Yorckstraße in den »interkulturellen Gärten« den Anwohnern Platz für Blumen und Gemüse und sogar für Bienenstöcke eingeräumt wurde, während im Osten Sandkästen, Schaukeln und Klettergerüste voller Kinder sind, ist der Westpark vor allem platt. Die Angebote für die Parkbesucher beschränken sich auf eine Tartan-Sportfläche über dem Tunnel der Fernbahn und zwei langgestreckte hölzerne Sitzterrassen nach dem Vorbild jener Sonnenterasse am Technikmuseum, die bei Sonnenschein so dicht besiedelt ist wie sonst nur die Liegewiesen im Prinzenbad. Eine davon steht in der Nähe eines Kletterspielplatzes, der zumindest von ferne aussieht wie die aus ausgedienten Paletten und Abfallhölzern von Kindern, Eltern und engagierten Erziehern zusammengezimmerten Abenteuerspielplätze auf den Höfen selbstorganisierter Kitas. Dass die Besucher der Sonnenbank die Sonne im Rücken haben werden, da sie nach Norden ausgerichtet ist, scheint die Planer nicht zu stören, die womöglich nichts anderes im Sinn hatten, als die schon vorhandene Linie eines Weges aus architektur-ästhetischen Gründen an dieser Stelle noch um zwei Zentimeter zu verlängern. So kam die Bank an diesen Platz. »Dieser kleine Strich im Plan war nicht näher bezeichnet!«, erklärt Norbert Rheinlaender, der auch in der Bauphase Zwei wieder mit am Planungstisch saß. Wer aber immer seltener zum Planungstisch kam, war das Atelier Loidl. »Und so kam es, dass uns dann eines Tages diese Bank als kleine Überraschung präsentiert wurde...« Auf diese Weise hat das Atelier die Vorschläge der »projektbegleitenden Gruppe« aus Bürgerinnen und Bürgern gern ignoriert und die Arbeiten »nicht so durchgeführt wie besprochen.« Anders als beim Bau des ersten Abschnitts haben sich die Architekten bei den Planungsrunden nur dann sehen lassen, wenn sie dazu verpflichtet waren. Die Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative war schwierig, weshalb die Grün Berlin GmbH als Bauherr dem Planungstisch mit Martin Seebauer sogar einen fachlich versierten Moderator und Streitschlichter zur Seite stellte. Das Dumme war, dass Seebauer und Rheinlaender sich in vielen Punkten einig waren und bestens verstanden. Nur mit Mühe konnte Seebauer verhindern, dass Loidl eine Baumreihe entlang der Schrebergärten fällte, nur um neue Bäume aus dem Katalog zu pflanzen. Dennoch wurden eines Tages auf Befehl der Architekten die Kettensägen angeworfen, um die Bäume in die typische Parkbaumform zu bringen und die Stämme im unteren Bereich zu entasten. Als die überraschte Projektgruppe anfragte, ob das notwendig gewesen sei, unter den Bäumen alles »besenrein« zu machen, erhielten sie die übliche Antwort: Man müsse auf die Verkehrssicherheit achten. Die niedrigen Äste seien eine Verletzungsgefahr. »Sie glauben ja nicht, wie viele Anzeigen wir jährlich von Eltern erhalten, deren Kinder sich auf Spielplätzen verletzten!« Tatsächlich haben sich die Verantwortlichen von der rasant anwachsenden Klagewelle und drastischen Urteilen deutscher Richter nach amerikanischem Vorbild derart verunsichern lassen, dass sie den gesamten Boden der 60jährigen Heide bis zu 1,5 Meter Tiefe abtragen ließen - immer mit dem Argument der »Verkehrssicherungspflicht«: Schließlich könnten sich Hohlräume unter der Grasnarbe verbergen, Eisendeckel über Schächten könnten durchgerostet sein, Trümmer zusammensacken. Dabei hätte das viel kostengünstigere Aufstellen einiger Schilder, wie sie an jedem winterlichen See in Berlin zu finden sind, ausgereicht: Betreten der Fläche auf eigene Gefahr. Aber das Atelier, die Grün Berlin GmbH und ihre ausführenden Organe, Subunternehmer und Firmen, verdienen an jedem umgegrabenen Quadratmeter. Auch das Schlagen von Schneisen bringt Geld. So dachte Loidl unter anderem daran, als Zugang vom Nelly-Sachs-Park einen fünf Meter breiten Betonstreifen durch die Schrebergärten zu legen. Nur der lautstarke Protest der Gartenkolonialisten konnte das verhindern. Auch einer der Hauptwege, der den Park von Norden nach Süden durchkreuzt, sollte ursprünglich nicht entlang der Gartenkolonie mit Blick auf die Wiesen und die alten Eisenbahnbrücken, sondern mitten durch die Parzellen der »Kolonie vom Potsdamer Güterbahnhof« geführt werden. Auch diese Idee hätte das Atelier mit Sicherheit verwirklicht, wären die Zeichner nicht auf den erbitterten Widerstand realistisch denkender Bürger gestoßen. Einen langen Streit gab es bezüglich eines turniertauglichen Fußballplatzes, der auf dem Feld installiert werden sollte, und der während der Planungen über das gesamte Areal wanderte, bis er am Ende auf dem Dach eines Baumarktes landete, der im Süden an der Yorckstraße entstehen soll. Dass der Platz keine Turniermaße hat, da das Dach des Supermarktes kleiner ausfällt als geplant und angegeben, ärgert nicht nur die Fußballer, sondern auch die Vertragspartner, die vermuten, dass der Unternehmer geblufft hat, um die Genehmigung zum Bau in vorteilhafter Lage zu erhalten. Und das umstrittene Wohnprojekt »Möckernkiez« könnte, wenn auch mit mehrjähriger Verspätung, bald Gestalt annehmen. Die alten Backsteingebäude an der Yorckstraße sind bereits dem Erdboden gleichgemacht worden, auch die ersten Baumriesen sind gefällt. Die Natur hat in Berlin keine Chance mehr, sich gegen die Bauwut von Architekten und Unternehmern zu wehren. In ganz Berlin zeugen die auf freien Plätzen gelagerten Stämme von einer großangelegten, innerstädtischen Rodung. Auf Friedhöfen, in Parkanlagen, an Straßenrändern. Sie zeugen von einer regelrechten Kahlschlagsanierung. • Foto: Dieter Peters
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