Kreuzberger Chronik
März 2013 - Ausgabe 145

Mein liebster Feind

17. Brief


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von Katja Neumann

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Mein lieber Herr Frings!

Ich glaube, ich muss mir allmählich ernsthaft Sorgen machen. Nicht, dass ich nicht auch Trauer über Norberts Tod empfunden hätte. Nicht, dass ich nicht auch gerührt gewesen wäre ob der kleinen Zettel aus der Nachbarschaft, die so viel Mitgefühl für den Besitzer dieses kleinen Cafés bekundeten. Nicht, dass nicht auch mir aufgefallen wäre, dass Pussy Cat uns nun verlässt – obwohl ich ja den Namen immer blöd fand und in all den Jahren nicht ein einziges Mal in diesem Laden war. Im Gegenteil, ich könnte Ihre Liste der Scheidenden, mein liebster Brieffeind, noch um die Fidicinklause erweitern, deren Wirtin nun auch ans Aufgeben denkt. Oder um das Rat Pack, in dem Tom und Micha jede Nacht daran erinnerten, wie Kreuzberg früher mal war. Und das am 24. März zum letzten Mal aufmacht. Hier trafen sich die letzten großen Trinker, die Schlaflosesten unter den Lebenskünstlern, die früher im Leierkasten, in der Nulpe, und später im Enzian am Tresen hingen.

Die Liste der Scheidenden wird länger werden, das wissen Sie. Deshalb wundert es mich, wenn Sie plötzlich melancholisch werden. Aber um die Weihnachtszeit verfallen ja viele in Nachdenklichkeit - warum also nicht auch nüchterne Denker, Anwälte und Notare?

Was mich eigentlich irritiert, ist Ihre Einladung auf einen Kaffee! Da schreiben wir uns seit Jahren böse Briefe, und nun wollen Sie so einfach mit mir Kaffee trinken und so tun, als wären wir die besten Freunde. Zuerst ins Wiener Café in der Bergmannstraße, das so viel Charme hat wie ein alternder Notar, und das zwischen den Betonwänden des Ärztehauses etwaso viel von Wien hat wie Gummersbach von London. Und später, wenn Sie 86 sind, wollen Sie mit mir zu Tim Raue. Herr Frings, wenn Sie gestatten: Das klingt wie ein Heiratsantrag!

Ich kann nur hoffen, dass Sie das nicht ernst meinen. Sie wissen doch, dass zwei Eigenbrötler wie wir spätestens im zarten Alter von 50 zu komischen Kauzen werden. Ich, diese alte Kreuzberger Pflanze und Emanze, die seit zwanzig Jahren Gingseng Tee trinkt und keine Wiener Melange, die Rescuekügelchen in ihrer Küche hat, Fahrrad auf dem Gehsteig fährt und in jedem Eigentumswohnungsbesitzer den Immobilienhai sieht – und Sie, dieser kleine Streber aus dem Süden, dieser schlaue Anwalt mit Kanzlei, der auf Aspirin schwört, Motorroller fährt und mit Münchner Kapitalanlegern Verträge schmiedet: Wie soll denn das zusammengehen?

Nein, nein, mein lieber Herr Frings, löffeln Sie mal Ihren Kaffee alleine aus, auch wenn Sie allmählich anfangen sollten zu kleckern. Ich bin sicher, Ihr alter Bekannter bei Tim Raue, der Sie ja einst beinahe noch auf den rechten Weg gebracht hatte – kleckert auch ab und zu. Aber lassen Sie uns in Gottes Namen weiterhin unsere kleine Brieffeindschaft pflegen – ich habe mich schon so an sie gewöhnt.

Herzlichst, Ihre Katja Neumann

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