Juni 2013 - Ausgabe 148
Strassen, Häuser, Höfe
Die Heimstraße Nummer 15 von Werner von Westhafen |
Es ist eines der letzten unberührten Häuser im Kiez. Der Putz ist altersgrau, die Fassade bröckelt, nur die Mieter sind jung geblieben. Zu Hausbesetzerzeiten prägten Sofas, Tische, Hollywoodschaukeln auf den Straßen das Bild Kreuzbergs. Fotografen aus aller Welt kamen und porträtierten Häuser und Hinterhöfe, in denen sich die alternative Lebensweise der Stadt und eine Spur von Anarchie zu manifestieren schienen. Heute ist das Haus oben in der Heimstraße eines der letzten in Kreuzberg, dem Eldorado der Hausbesetzter, vor dem noch Bänke und Blumentöpfe stehen. Die zwei Bänke vor der Nummer 15, auf der sich nicht nur die Kinder und die Bewohner des Hauses, sondern immer öfter auch die Nachbarn und Passanten auf ein Schwätzchen treffen, wären längst aus dem Straßenbild verschwunden, wäre das Haus an Taekker & Co verkauft worden. Doch auch dieses Haus blieb – ebenso wie die Nummer 22 und die Nummer 24, (vgl. Kreuzberger Nr. 147 und 146) - von den Investoren einstweilen verschont. Die Nachfahren der Familie Wien, die das Haus nach dem Krieg kaufte und es mit jenem grauen Zementputz einkleidete, der es bis jetzt so charmelos erscheinen lässt wie die gesamte Architektur der Fünfziger- und Sechzigerjahre, haben es bis heute behalten, denken nicht daran, zu verkaufen. Kein Papier hat in unsicheren Zeiten wie diesen so viel Wert wie ein Stück Grund und Boden und ein steinernes Haus. Die Bänke kamen mit dem Kinderladen, der 1985 im Erdgeschoss der Heimstraße einzog. Frau Zimmermann und zehn andere junge Väter und Mütter, die keinen Platz für ihren Nachwuchs in den städtischen Kindergärten fanden, oder ihre Kinder nach anderen Prinzipien erziehen wollten als der Senat, hatten zwei Erzieher engagiert und in der Heimstraße eine Parterrewohnung gefunden. Wenig später zog auch Frau Zimmermann selbst im 3. Stock ein. Noch heute sitzt sie manchmal auf der Bank, an der gekachelten Wand hinter der Bank ist noch immer der Liebesbeweis zu erkennen, den der erste Verehrer ihrer Tochter wohl eines Nachts an die Wand gesprayt haben muss: »I love Lena«. Heute ist Lena 30 Jahre alt. Auch bis heute erhalten haben sich die großen Lettern der Sekuritas-Versicherung auf der Hauswand, die hier im Haus einmal eine Niederlassung gehabt haben muss. Aber daran kann sich nicht einmal mehr Frau Caternberg erinnern. Nur an den Autoschildermaler erinnert sie sich, der im Erdgeschoss sein Geschäft hatte. »Das war einer der ersten hier überhaupt. Und nebenan, in der 16, war noch ein Gemischtwarenladen«. Frau Caternberg hatte Arbeit in Berlin gefunden und eine kleine Ein-Zimmerwohnung im Hinterhaus der Nummer 15, für 175 DM. Das war 1973. Jetzt wohnt sie im Vorderhaus, mit drei Zimmern und Blick in die Willibald- Alexis-Straße mit ihren hängenden Gärten und ihrem Kopfsteinpflaster. Geschichten kann sie so einige erzählen aus den 40 Jahren in der Heimstraße. Wie ihr eines Tages die beiden Jungen aus dem ersten Stock entgegenkamen, völlig außer Atem, worauf Frau Caternberg fröhlich fragte: »Na, wo brennt´s denn?« – »Bei uns im ersten«, sagte der Junge. Wenig später war die Feuerwehr da, um den Brand zu löschen, den die beiden entfacht hatten, als sie das von Silvester übrig gebliebene Feuerwerk anzündeten. Oder von den Bhagwan-Jüngern, die im Hinterhaus einzogen, und die immer die Fenster offen hatten, wenn sie sich der Freien Liebe hingaben. »Jetzt brauchste nur noch den Ton, dann haste volles Programm!«, sagte Herr Caternberg zu seiner Frau. »Den Ton hatte ich«, erinnert sich Frau Zimmermann. »Die Wände sind ja ziemlich hellhörig hier im Haus.« Aber eigentlich ist die Nummer 15 ein ruhiges Haus, Streit gab es hier nie, die Leute im Vorderhaus kennen sich alle schon lange. »Nur im Hinterhaus, da geben se sich die Schlüssel in die Hand«, da ist ein ständiges Kommen und Gehen. Und einmal gab es einen Überfall, da haben sie die Frau Kuchenbecker, »immer eine ganz lustige, hilfsbereite Frau«, wegen 120 Mark so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus musste. »Danach war sie nicht mehr die Gleiche.« Auch an die alte Hauswartsfrau können sich Frau Zimmermann und Frau Caternberg noch gut erinnern, die Frau Schakowski. »Die hat hier alles wunderbar in Schuss gehalten«. Und die drei Fichten, die inzwischen haushoch sind und deren Wipfel bald über das Dach hinausragen werden, und auch die anderen Bäume und Büsche im Hof, »die hat alle noch der Schakowski gepflanzt«. Damals, in den Sechzigern, war das Haus mit der Nummer 15 noch ein gepflegtes Haus. Da lebte auch die Frau Wiener noch. Doch seit die Haushälter nicht mehr da sind und eine Hausverwaltung sich um das Haus kümmern soll, altert es vor sich hin in seinem unauffälligen, grauen Fünfzigerjahreputz. Niemand legt mehr Hand an das Haus. Und deshalb ist auch die alte, schöne Tür mit den Glasscheiben noch da. Sie bräuchte einen neuen Anstrich, aber sonst ist sie noch ganz die alte. Es geschieht nicht mehr viel, das Leben geht einen ruhigen, gemächlichen Gang. Hinten im Hof liegt schon seit 1960 die Werkstatt des Kreuzberger Bezirksschornsteinfegers. Michael Schmidt hat dort seine Besensammlung, sein Fahrrad und sein Büro mit den kleinen Spielzeugautos, die davon zeugen, dass er eigentlich einmal Rennfahrer und nicht Schornsteinfeger werden wollte. 35 DM kostete die Miete, als er hier anfing. »Die Leute dachten immer, das wär mein Haus, weil ich immer schon um sechse Morgns da war und Schnee geschaufelt habe, und weil ich dem Schakowski im Garten geholfen hab. Damals war mein Rad das einzige der ganzen Grünanlage – heute stehen hier 50!« Schmidt aus dem Hinterhof ist der älteste Mieter im Haus. Die Jüngsten sind ganz vorne, im Erdgeschoss. Denn dort, wo Frau Zimmermann und ihre Mitstreiter 1985 den Kinderladen »Zippelzappel« ins Leben riefen, malen noch immer Kinder an sonnigen Tagen mit bunter Kreide Sonnen und Bäume und Häuser aufs Pflaster vor den zwei Bänken.• Foto: Dieter Peters
Foto: Dieter Peters
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