Juni 2013 - Ausgabe 148
Geschäfte
Das Café des Herrn Binali von Hans W. Korfmann |
Vor zwei Jahren schloss mit Elektro-Kuhlmann eines der letzten Fachgeschäfte am Mehringdamm. Es wurde, wie sonst, ein Café. Einmal im Jahr zeigt Kreuzberg der Weltöffentlichkeit, wie friedlich Menschen aus verschiedenen Ländern auf einem Karnevalsumzug hintereinander herlaufen können. Der Alltag in Berlin sieht oft anders aus. Es gibt Geschäfte, in denen Frauen mit Kopftüchern den Einkauf von Frauen mit Kopftüchern einscannen, und es gibt Cafés, in denen türkische Männer mit türkischen Männern Karten spielen. Auch die dritte Generation jener Einwanderer, die in den Sechzigerjahren das Wirtschaftswunder mit ankurbelten, ist in Kreuzberg noch immer nicht ganz angekommen. Doch es gibt Anzeichen einer erfolgreichen Fusion. Zur Currywurst gesellte sich der türkische Döner, und neben dem deutschen Kartoffelhändler etablierte sich der türkische Gemüsehändler, sodass die Berliner schon in den Achtzigerjahren »mal schnell zum Türken« gingen, wenn sie Obst oder Gemüse oder einen Döner brauchten. Türkische Supermärkte folgten, Bäcker und Backshopfilialen. Auch am Mehringdamm gibt es seit einigen Monaten Schrippen aus türkischer Hand. Wo eines der letzten Fachgeschäfte am Mehringdamm so tapfer die Stellung hielt, ist nun ein Café- Tabak-Zeitungs-Getränkehändler eingezogen. Es gibt viele dieser Spätshop-Minimarktvarianten in Kreuzberg. Doch dieser ist anders. Die Tabakecke mit ihrem Teakholzverschnitt sieht so akkurat und gut sortiert aus wie die bei Karstadt. Neben Marlboro und Camel gibt es Rot-Händle und Schwarzen Krausen, unparfümierte Zigarillos, biologischen Indianertabak oder die so urdeutsche Marke Styvesant. Die Backecke sieht aus wie bei Thürmann. Nur dass es neben Brötchen und Vollkornbroten, rundem Käsekuchen und rundem Apfelkuchen türkisches Zuckerbackwerk gibt. Und neben »belegten ?Schrippen« mit Wurst vom Schwein und dem deutschem Kartoffelsalat gibt es Börek und Couscous. Nur der Döner oder die Curry fehlen in der Vitrine zum Stillen des Kleinen Hungers. Zum Löschen des Durstes steht auf dem Tresen eine große Vase voller Orangen zum Pressen von frischem Saft. Es gibt Kaffee und Kakao, Bionade und fritz-kola, Mineralwasser aus der Türkei, aus Italien, aus dem Schwarzwald und aus Brandenburg. In der Bierabteilung gibt es nicht nur Kindl, Schultheiss und Beck´s, sondern so viele Sorten wie bei Kaisers in der Bergmannstraße, und im Weinregal stehen prämierte Weine aus Bordeaux oder Italien, zu Preisen, die Kaisers Kunden neidisch machen könnten. Wenn Kaisers Kunden sich hierher verirren würden. Am erstaunlichsten an diesem multikompatiblen Laden aber ist das multikulturelle Publikum. Hier sitzt der Pizzabäcker von nebenan, trinkt seinen Espresso und stiehlt dem viel beschäftigten Chef Foto: Cornelia Schmidt
Foto: Cornelia Schmidt
Doch viele, die hier sitzen, sind Stammkunden, die schon lange zu Palat Binali kommen. Seit über zwanzig Jahren. Seit er das kleine Geschäft vom Herrn Kuhlmann übernahm. Menschen, die kamen, weil sie eine Sicherung brauchten, Batterien, ein Kabel, ein Mikrophon, ein Aufnahmegerät oder einen Walkman. Und manchmal sogar einen Fernseher. Sie kamen dann zu ihm, weil Herr Binali ein Lächeln besaß, das nichts zu tun hatte mit dem Lächeln anderer Fernsehverkäufer. Sie kamen zu Elektro-Kuhlmann, weil der Radio- und Fernsehtechniker eine seltene Geduld zeigte, weil der Herr Binali hinten in seiner Werkstatt alles reparierte, was noch irgendwie zu reparieren war. »Sie kamen mit einem uralten Gerät und einem langen Gesicht. Und wenn sie es wieder abholten, und alles funktionierte wieder, dann strahlten sie.« Nur Palat Binali strahlte irgendwann nicht mehr. Auch die Kreuzberger gingen jetzt zum Mediamarkt, wenn sie einen Fernseher brauchten. Und es half nichts, wenn eine eilige Managerin kurz in seinen Laden sprang, weil der Akku ihres Handys schwach war, und wenn er ihr zwei Stunden später lächelnd das funktionierende Telefon überreichte. Sie schob ihm einige Münzen herüber, aber der freundliche Mann schob sie wieder zurück, woraufhin sich die Dame auf ihrem hohen Absatz umdrehte und nie wieder gesehen wurde. Palat Binali sah ein, dass er von Freundlichkeit allein nicht leben konnte. Und da bekam das Lächeln des Herrn Binali etwas Trauriges. Aber seit sein Neffe ihn eines Tages beiseite nahm und sagte, er solle aus dem unrentablen Elektrogeschäft doch einfach ein Café machen, so wie alle anderen auch, lacht er wieder. Sitzt am Tisch und unterhält sich mit alten oder neuen Stammkunden über dies und das. Es ist ein bequemes Leben am Kaffeehaustisch. »Aber glücklicher«, sagt der alte Fernsehtechniker, »war ich mit meiner Werkstatt. Ich konnte die Leute glücklich machen. Jetzt trinken sie Kaffee – und gehen wieder.« • Foto: Cornelia Schmidt
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