Juli 2013 - Ausgabe 149
Herr D.
Der Herr D. und der Zoll von Hans W. Korfmann |
Der Herr D. hatte beschlossen, sich nicht länger zu ärgern. Nicht über falsche Telefonrechnungen, nicht über die Lügen der Politiker, nicht einmal über die Telekom. Und wenn misslaunige Fußgänger dem gemütlich auf dem Gehweg radelnden Herrn D. »Arschloch«« zuriefen, grüßte er freundlich. Er glaubte schon, die Gelassenheit des Alters errungen zu haben. Doch dann betrat er den Spätshop. Als er bezahlen wollte, rief der Getränkehändler: »Oh, warten Sie mal...«, und überreichte dem Herrn D. einen Stapel Post. Der Herr D. hatte schon bemerkt, dass sich vieles verändert hatte, seit die Deutsche Post der Deutschen Bank gehörte. Werbung landete noch immer im Briefkasten, aber Päckchen wurden immer seltener. Benachrichtigungen über zum Abholen bereitliegende Briefsendungen gab es kaum noch. Offensichtlich wollte man die Belegschaft in der Filiale am Marheinekeplatz auf zwei Mitarbeiter reduzieren, da waren Briefberge in den Regalen hinderlich. Deshalb deponierten die Postboten ihre Post bei Nachbarn, im Spätshop oder bei der freundlichen Kuchenbäckerin am Ende der Straße. Aber der Herr D. ärgerte sich noch immer nicht. Er ärgerte sich erst, als er den Brief vom Hauptzollamt öffnete. Auf dem Schreiben stand: Vollstreckungsankündigung. Ein gelbes, einst vermutlich rotes Blatt lag bei, darauf stand: WICHTIGE HINWEISE DER VOLLSTREKKUNGSSTELLE. Dem Blatt war zu entnehmen, dass der Herr D. eine infolge der freundlichen Übernahme der Deutschen Post durch die Deutsche Bank längst verstrichene Woche lang Zeit gehabt habe, eine Rechnung über 128,42 zu begleichen, und dass der Herr Rüffle/Marx/ Walter nun sein Konto pfänden oder ihm »gehörende bewegliche Sachen, z. Bsp. Ihr Kraftfahrzeug« – mit Schrecken dachte der Herr D. an sein Fahrrad – »oder Geräte der Unterhaltungselektronik« ... »durch seine Vollziehungsbeamten pfänden« lassen konnte. Der Herr D. rief den Herrn Rüffle an. Der Herr Rüffle sagte weder »Guten Tag« noch »Was kann ich für Sie tun?« Er sagte nur »Rüffle«. Vor dem phantasievollen Auge des Herrn D. erschien ein korpulenter Mann mit Glatze hinter einem riesigen Schreibtisch voller gelber Blätter. Er sah den Herrn D. nicht an, sondern fuhr fort, Vollstreckungsbefehle zu unterschreiben. Der Herr D. begann: »Ich habe am 22. 5. eine Vollstreckungsankündigung erhalten, obwohl ich schon am 22. 4. bezahlt habe.« Der Herr Rüffle sah nicht auf und fragte gelangweilt: »Können Sie das nachweisen?« – »Die Krankenkasse behauptet, Ihnen schon vor drei Wochen ein Fax geschickt zu haben.« – Der Glatzköpfige vor dem geistigen Auge des Herrn D. hob den Blick von den gelben Blättern und sah in seinen Computer. »Hier ist noch nichts. Und ich bin verpflichtet, zuerst der Krankenkasse zu glauben.« Das war der Moment, in dem der Herr D. sich ärgern musste. Er legte auf. Aber das Gesicht dieses Herrn Rüffle verschwand nicht, es blieb noch lange vor dem geistigen Auge des Herrn D. • |