Februar 2013 - Ausgabe 144
Essen, Trinken, Rauchen
Sas in der Confeitaria Colombo von Saskia Vogel |
Einmal trank Sas ihren Cappuccino im mondänen Hotel »Moskva« in Belgrad, ein anderes Mal aß sie süßen Kuchen in einer Lobby in Sarajevo. Heute sitzt sie im Café Sarotti am Mehringdamm, in dessen Hinterhöfen einst die berühmte Schokoladenfabrik verborgen war. Im Sarotti fühlt sich Sas wie auf Reisen: Die Wände sind holzvertäfelt wie in den fernen Hotelbars mit ihren Kaminen und den ledernen Clubsesseln. Stundenlang saß Sas an trüben Winternachmittagen im Bahnhofscafé von Krakau zwischen der Eichenholzvertäfelung und beobachtete die abfahrenden Züge - mit vor Fernweh wundem Herzen. Wie gerne wäre sie jetzt eine Fremde. Wie gerne würde sie aufbrechen. Sas beneidet den würdigen Herren, der ihr im Sarotti auf der Lederbank gegenüber sitzt. Er trägt Budapester Schuhe mit teuren Ziernähten, der Mantel ist aus gutem Zwirn, der Herr kann sich das Sarottihotel leisten. Er hat etwas aristokratisches, genießt den schwarzen Tee, faltet penibel die Serviette, rührt mit spitzen Fingern Zucker in das Glas. In seinem Moleskine notiert er das »Anne Frank Museum« - Gedenken an das tiefe Grauen – und die »Straßen von Kreuzberg mit dem alternativen Flair«. Einst saß auch Sas in so einem Café, in Warschau war das. Da durchstreifte auch sie die fremde Stadt. Das Ghetto und das Grauen. Das Künstlerquartier rechts der schönen Weichsel. Das Sarotti ist ein Konglomerat aus Café, Bistro und Hotel-Lobby. Die Gäste fragen nach Zimmern, man spricht russisch, spanisch, englisch, schwere Koffer werden an Sas´ Tisch vorüber geschoben. Der Kellner ist mürrisch, am liebsten sagt er »Ja« und »Nein«. Der mediterrane Salat aber ist der beste, den Sas jüngst gegessen hat. Und für 6,50 Euro gibt es eine »Salat-Mahlzeit« mit warmen Pilzen und Feta. Die Joghurt-Sauce ist nicht nur dekorativ getröpfelt, sondern satt unter das Grün gemengt. Zum Nachtisch gönnt sich Sas eine Trinkschokolade mit »Sarotti-Mohr« auf den Kakao-Tassen. Erst vor wenigen Jahren wurde das Markenzeichen des Schokoladenherstellers, der bis 1921 in Kreuzberg Schokolade kochte, überarbeitet. Aus dem dienstbeflissenen Afrikaner wurde ein goldhäutiger Zauberer, der »Sarotti-Magier der Sinne«. Statt ein Tablett in der Hand zu tragen, wirft er Sterne in die Luft. Denkt Sas an goldhäutige Menschen und die Sterne, dann denkt sie an Rio de Janeiro. Und erinnert sich an das weltberühmte Kaffeehaus Confeitaria Colombo am Zuckerhut. Auch dieses riesige Café war holzvertäfelt, und wieder trank Sas heiße Schokolade mit Sahne. Bei 30 Grad im Schatten. Heute trinkt sie Schokolade am Mehringdamm, bei 7 Grad im Regen. Einem ewigen, feinen Winterregen, der schon seit drei Monaten anhält. Und je länger er anhält, um so weiter träumt Sas sich fort. Nach Budapest und Krakau und Warschau - sogar bis nach Rio de Janeiro. • |