Februar 2013 - Ausgabe 144
Geschäfte
Das Völkchen vom Viktorabackshop von Manuela Krause |
Das »VB« ist nicht der einzige Lichtblick im längst langweiligen Einerlei Kreuzberger Café-Kultur. Aber der unscheinbarste. Oasen sind überlebensnotwendig in den Wüsten. Und weil das Leben im Bergmannkiez allmählich immer wüster und immer trostloser wird vor lauter Restaurants und Cafés, deshalb gibt es solche kleinen Oasen wie das Conni-Island in der Heimstraße, das Café Atempause in der Bergmannstraße, oder das Café-Oase in der Kreuzbergstraße, in denen sich die Eingeborenen treffen und unterhalten. Auch der Viktoriabackshop mit seinem roten Sonnendach ist so eine Oase. Drei leere, nasse Tische auf dem Trottoir vor den beschlagenen Fensterscheiben, dahinter ein wohlig warmer Hybrid aus Backstube mit Brot und Brötchen, Süßwarenkiosk, Getränkeshop und Zeitungsladen. »Ich hätte gern einen Sesamring und einen Kaffee zum Mitnehmen«, sagt eine junge Frau mit dunklen Locken. Sie bestaunt das große Zeitschriftenangebot hinter dem Brötchenverkäufer. »Sind die zum Lesen oder zum Verkaufen?«, fragt sie und blättert interessiert in einem Heft über Meeresforschung. Dann huscht sie rüber zum Kühlschrank und nimmt sich eine Flasche Stilles Wasser heraus. Ein älterer Herr schlängelt sich an der Frau vorbei, nimmt sich die taz und nickt dem Mann vom Backshop zu. »Kaffee und Splitterbrötchen«?, fragt der Bäcker. »Genau«, antwortet der Gast und nimmt im hinteren Teil der Stube an einem dunklen Holztisch Platz. Er ist nicht der einzige dort: Eine alte Dame mit kurzen, nach hinten gekämmten Haaren, kommt beinahe jeden Tag. Foto: Dieter Peters
Außerdem gehören zum alternativen Backshop noch der Herr im Rollstuhl mit dem kleinen Terrier und die elegante Dame mit der Föhnfrisur, die einer TV-Kommissarin täuschend ähnlich sieht. Sowie die Frau mit den Stöckelschuhen, die immer schwarz gekleidet ist, und die zwei Männer aus einem amerikanischen Roadmovie: der eine mit Vollbart und Cowboyboots, der andere mit strähnigem langen Haar und Gitarre – zumindest an sonnigen Sommerabenden. Sie alle sind Stammgäste. Sie gehören dazu. Nur die Frau mit den dunklen Locken ist neu hier. Jetzt sitzt sie auf der Bank und betrachtet zuerst das Weinregal, und dann das Bücherregal mit Agatha Christie, John Grisham, Shakespeare und »Spielend Englisch lernen für Kinder«. In diesem Moment bringt der Bäcker vom »Viktoriaback«, wie die Eingeweihten sagen, dem taz-Leser Kaffee und Splitterbrötchen. »Mein freundlicher Bildungsbäcker!«, murmelt der Zeitungsleser und schaut kaum hoch von seiner Lektüre, als Özcan die Kaffeetasse vor ihm abstellt. Die Neue aber starrt weiter auf die gegenüberliegende Wand. Da hängt nämlich eine alte Karte von Argentinien und das Bild einer jungen Frau aus Nicaragua, die ihr Baby stillt - mit einer Kalaschnikow über der Schulter! Dann sind da noch zwei weitere Photografien von Bergmannstraße zu einer Zeit, die schon lange vorbei ist, und von einem italienischen Fußballer. »Das Poster ist von der letzten WM übrig geblieben. Genau wie die spanische Flagge dort.«, sagt Özcan - mit einem Hauch von Wehmut in der Stimme. Die WM muss eine wunderbare Zeit gewesen sein im »Viktoriaback«. Und eigentlich ist es noch immer ganz wunderbar in dieser Oase in der Kreuzbergstraße, in der alle so sein können, wie sie eben sind. In der es etwas anders zugeht als in den Straßencafés hinter dem Damm, wo blümchenbekleidete Ökomuttis mit ihrem niedlichen Anthroposophennachwuchs Milchkaffees trinken und über Erziehung fachsimpeln. Foto: Dieter Peters
Özcan hat Talent zum Wirt. Er verwickelt in einen Plausch. Er schafft es, dass die unterschiedlichsten Gäste miteinander ins Gespräch kommen. Dass es in dem unscheinbaren Backshop plötzlich zugeht wie in einer Talkshow, wo über die Theologie, den Krieg, den Euro oder die Immobilien-Spekulanten in Kreuzberg debattiert wird. Und irgendwann verkündet Özcan dann: »Tja, den Titel des Bildungsbäckers hab ich ja nicht umsonst verliehen bekommen.« • |