Dez. 2013/Jan. 2014 - Ausgabe 154
Essen, Trinken, Rauchen
Der Wirt vom Peperoncino von Christian Koch |
Ein regennasses Paar betritt das Ristorante an der Urbanstraße. Der Wirt nimmt die neuen Gäste an der Tür in Empfang und geleitet sie an einen Tisch im hinteren Raum. Die Haare der Frau sind nass, mit ihren roten Lippen zaubert sie etwas Farbe in den grauen Dezembertag. Sie lacht, als die männliche Begleitung ihr ungeschickt aus dem Regenmantel helfen möchte. Das Paar hat sich auf der Suche nach etwas Wärme und einem Essen in das unscheinbare Lokal an der schmucklosen Urbanstraße verirrt. Als die Neuen sitzen und sich küssen, tritt Adriano an den Tisch. Adriano heißt wirklich Adriano und ist wirklich Italiener. Er sagt: »Wenn ich diese Haare sehe, werde ich neidisch.« Adriano meint nicht die Haare der schönen Frau, er meint die Haare des Begleiters, der mindestens so alt ist wie er. Nur, dass dessen Haarschnitt dem von Keith Richards gleicht, während sein Haupt bereits ziemlich kahl ist. Der Mann mit der altmodischen Frisur antwortet, Adriano solle sich deshalb keine grauen Haare wachsen lassen und lieber die Speisekarte bringen. »Und zwei Glas Sekt bitte«, ergänzt die Frau und lächelt so nett, dass auch der Adriano lächeln muss. Adriano redet leidenschaftlich gern, lacht viel, und lässt sich am liebsten von seiner Frau bekochen. Er ist Wirt aus Leidenschaft. Wenig später steht er wieder am Tisch seiner neuen Gäste und verbeugt sich: »Zwei Glas Sekt für die Frau mit der wunderbaren Ausstrahlung und den Herrn mit der wunderbaren Frisur.« Jetzt lächelt auch der Herr mit der wunderbaren Frisur. Sogar die Lautstärke im Lokal ist italienisch. Neben dem jungen Liebespaar sitzt ein älteres Liebespaar, das bereits drei Margarita verschlingende Kinder besitzt, am Tisch nebenan witzeln vier Schwule in vier schwarzen Lederhosen aus der Filmbranche über den charmanten Kellner, und einen Tisch weiter bestellt eine Runde Alt-Achtundsechziger vier große Bier und vier große »quattro stagioni.« Das neue Paar hat die Speisekarte schnell gelesen. Sie ist vom Süden Italiens geprägt, angenehm klein, aber vollkommen ausreichend. Natürlich darf die Pizza auf keiner italienischen Speisekarte fehlen, aber die Blicke der Neuen bleiben bei den sechs Tagesgerichten hängen, Variationen, von denen sie noch nie gehört haben. Adriano ist ein wunderbarer Wirt! Immer wieder legt er seinen Stammgästen das Besteck falschherum hin, läuft mit dampfenden, für ganz andere Gäste bestimmten Tellern ganz nah an jenen vorbei, die gerade vor Hunger sterben, und wenn einer seiner Gäste tatsächlich einmal auf die Idee kommt, in einem Krimi zu schmökern, anstatt andächtig auf das wunderbare italienische Essen zu warten, dann klappt er kurzerhand das aufgeschlagene Buch wieder zusammen. Natürlich nicht, ohne sich die Seitenzahl zu merken. • |