Kreuzberger Chronik
Dez. 2013/Jan. 2014 - Ausgabe 154

Geschäfte

Von Äpfeln, Möhren und Kartoffeln (3):
Bauerngarten



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von Horst Unsold

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Das Haus in der Admiralstraße Nummer 21 ist ein unauffälliges, und doch ein ganz besonderes Haus. Hier ist nichts beschönigt, hier hängt noch immer der grobe, zementfarbene Putz, der in den 70ern auf die allmählich abbröckelnden Vorkriegsfassaden gespritzt wurde. Bunt ist nur das welkende Laub, das an der schmucklosen, herbstgrauen Fassade bis unter die Dachrinnen rankt, und auch an den Fenstern hängen gewaltige Blumenkästen randvoll mit Feldblumen und hohen Gräsern. Ganz oben, im vierten Stock, scheint sogar eine rote Sonne aus dem Fenster: Atomkraft, Nein Danke!

In diesem Haus hat sich wenig verändert. Der Laden im Erdgeschoss sieht noch so aus wie in den wilden Achtzigern, als sich ein paar Kreuzberger und ein paar Aussteiger vom Land zusammentaten und eine Genossenschaft gründeten. Sie wollten »zurück zur Natur«, wollten wieder Brot aus richtigem Mehl essen, und Tomaten, die nicht nur groß und rot waren, sondern Tomaten, die auch noch nach Tomaten schmeckten.

Also hängten sie eine große, hölzerne Apfelscheibe vor die Tür und schrieben »Bauerngarten« darauf. Und darunter: Fachgeschäft für Naturkost. Das Schild hängt noch heute da. Einige Jahre lang ging es auch ganz gut mit der Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft, »das waren auch schöne Zeiten«. Die alternativen Bauern aus der Lüneburger Heide oder aus dem fernen Hessen scheuten keine Mühe und passierten auf ihrem Weg nach Berlin sogar die Zonengrenze, nur um das kleine, widerspenstige Viertel voller Langhaariger mit gesundem Obst und Gemüse und auch mit Nachrichten aus dem fernen »Wessiland« zu versorgen. »Der Karl«, erzählt eine der Verkäuferinnen, die schon seit 1987 hinter der hölzernen Verkaufstheke steht und zu den Gründungsmitgliedern der Genossenschaft gehört, »kam schon damals mit seinem Gemüse und seinen Eiern extra aus Lübeck angereist. Jetzt ist er Achtzig und kommt noch immer.«

Foto: Dieter Peters
Auch andere Lieferanten halten dem kleinen Laden in der Admiralstraße die Treue. Ebenso kommen einige Kunden seit 25 Jahren in diesen Laden, in dem sich nichts wirklich zu verändern scheint. Zwar gibt es auch hier neuerdings Bananen, Clementinen oder Erdnüsse, die sicher nicht in Lübeck wachsen, aber sonst ist alles, wie es einmal war. In einem kleinen Regal stehen Bohnen, Erbsen, Möhren in Gläsern wie einst bei Oma im Keller. Die Konservendosen sehen aus wie in den Achtzigern, die Käsevitrine kommt auch ohne dekorative Beleuchtung aus. »Früher lagen hier drei große Käselaibe, von denen wir Scheiben heruntergeschnitten haben«, heute ist die Auswahl so groß wie grandios. Fünfzig Sorten liegen hier nebeneinander, so üppig wie bei Karstadt: Ziegenrollen und Frischkäse aus Frankreich, Ziegengauda aus Holland, der eigens importierte Parmesan aus Italien, oder der Bergkäse aus Tirol, auch so ein Renner im kleinen Laden.

Auch die Brotlaibe liegen morgens warm und duftend im Regal hinter der Theke, und sie kommen noch immer von der Backstube am Wassertorplatz, die es auch schon seit den Achtzigerjahren gibt. Die kleinen Kisten mit den erdigen Kartoffelknollen stehen auf dem Boden, in vier Apfelstiegen duften Ingrid, Marie, Rubinda und der große Elstar, klein sind die roten, glänzenden Kohlköpfe und die Tomaten von Demeter. Groß ist nur die Körnerecke mit dem Müsli und dem Getreide in den altersgrauen Holzregalen. Schließlich gab es in den Siebzigern kaum eine Wohnung in Kreuzberg, in der nicht morgens brav Müsli gelöffelt wurde. Nutella, Marmelade und Brötchen standen bei den politisch korrekten Haushalten Kreuzbergs unter dringendem Verdacht, konterrevolutionär zu sein.


Foto: Dieter Peters
Gegen Yoga, Meditation oder das »Singen aus vollem Herzen« allerdings hatte man schon damals wenig einzuwenden. Noch heute hängen an der Pinwand gleich neben der Ladentür die kleinen Zettelchen mit Angeboten von Klavierlehrern oder Aikidotrainern, ein »Painter from Paris searches for a flat« und ein Babysitter wird gesucht. Die Kundschaft, die den Laden betritt, ist unauffällig wie der Laden selbst, man trägt Wolle und viel Grau, schließlich ist es Spätherbst. Auf dem Boden liegt altes Linoleum, die frischen Eier sind lose und müssen selbst in die alten, wieder mitgebrachten Kartons sortiert werden, die in einer Ecke aufeinander gestapelt sind.

Und hinten, in der kleinen Küche, kocht der Chef einen Eintopf aus frischem Gemüse. Für die ganze Belegschaft. Zum Mittagessen. Es duftet nach Sellerie, nach frischen Karotten, nach Blumenkohl und nach Wohngemeinschaftsküche. »Zum Essen bleibt immer noch etwas übrig«, sagt Ralph Kölker, aber die guten Jahre sind vorüber, »der böse Bioboom« macht auch dem Bauerngarten das Leben schwer. Natürlich verirrt sich immer wieder mal ein Stammkunde in einen dieser Pseudobioläden, die jetzt an jeder Straßenecke aufmachen. Aber die meisten kommen wieder zurück. Weil sie irgendwann merken, dass die Ziegenrolle und die Rubinda aus dem Bauerngarten eben doch besser schmecken. Und dass sie manchmal sogar günstiger sind als die vielen Sonderangebote von LPG & Alnatura. Und dass es im Bauerngarten noch immer ein bisschen nach Wohngemeinschaft duftet. •



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