April 2013 - Ausgabe 146
Geschichten & Geschichte
Die Pumpstation am Halleschen Ufer von Werner von Westhafen |
Zuerst sollten die Abwasser der Stadt in die Spree fließen. Rudolf Virchow wollte sie auf die Felder vor der Stadt leiten. 1871 wurde die zur Metropole angewachsene Siedlung an der Spree zur Reichshauptstadt. Doch fehlte es der Großstadt noch an jeglicher Infrastruktur. Während in den glänzenden Hauptstädten Paris, London oder auch Wien längst Glühstrümpfe die Straßen erleuchteten, lebte man in Berlin noch im finsteren Mittelalter, die Straßen waren ohne Pflaster, und das Trinkwasser wurde aus Brunnen entnommen, deren schwere Handpumpen noch heute in den Straßen und Höfen Berlins zu finden sind. Die Abwasser der 800.000 Einwohner flossen stinkend in die Rinnsteine – sofern es welche gab. Nächtens sah man die Frauen mit übel riechenden Kübeln zur Spree laufen, und in den Hinterhöfen verdichteten sich die Fliegenschwärme zu dunklen Wolken. Zwar wurden die Straßen »auf öffentliche Kosten so viel als möglich gereinigt«, doch nahm bei »anhaltendem Regen der Koth so überhand, dass man in manchen Gegenden der Stadt nicht zu Fuß durchkommen kann.« Dass die Stadt bei der Beseitigung ihrer Hinterlassenschaften auf Grund der stetog steigenden Bevölkerungszahlen nicht mehr nachkam, beweist auch ein beinahe poetischer Leserbrief, der in der Spenerschen Zeitung erschien: »Ich armes Häuflein D / Lieg hier, wie du´s befohlen / Seit Montag wie auf Kohlen / Und niemand holt mich weg. / Oh Mutter Polizey / Sei flehentlich gebeten / Laß mich nicht ganz zertreten / Ich fließe schon wie Brey; / Kaum bin ich noch ein Hauf. / Soll ich auf Deinen Karren / Hier noch acht Tage harren, / Löst sich mein Wesen auf!« Doch was die einen noch amüsierte, wurde anderen zum tödlichen Verhängnis. Die Stadt wurde zur Brutstätte von Krankheiten. Pocken, Typhus und Cholera forderten in den dicht besiedelten Ghettos ihre täglichen Opfer. Verantwortlich für die unhygienischen Zustände war James Hobrecht, der in seinem Bebauungsplan die Erschließung neuer Wohnviertel geplant und durchgesetzt hatte. Seine Kritiker sahen in dem gigantischen Ausbau jedoch nichts anderes als »Mietskasernen für vier Millionen Bewohner«. Dass Hobrecht beim Straßenbau nicht vorsorglich Rohre und Kanäle für eine Entwässerung der Millionenstadt hatte verlegen lassen, zeugte von mangelnder Weitsicht. Zumal schon die Alten Griechen und Römer ihre Städte mit unterirdischen Abwasserkanälen ausstatteten, und bereits vor Jahrtausenden für saubere Städte sorgten. 1866 raffte die Cholera in nur fünf Monaten ein Zehntel der Berliner Bevölkerung hinweg. Fünf Jahre später, just in dem Jahr, das Berlin zur Hauptstadt machte, starben abermals 5216 Einwohner an den Pocken. Jeden Dritten erwischte die Seuche, und das Lazarett war von Pockenkranken derart überfüllt, dass die Stadtverordneten 40.000 Taler bereitstellten, um in den Krisengebieten drei neue Seuchenlazarette einzurichten. Gleich zwei davon entstanden in einer Gegend, die heute zu den teuersten gehört: in der Kreuzberger Eisenbahnstraße und am Rande des Tempelhofer Feldes. Hobrecht und Konsorten mussten einsehen, dass ihr Bebauungsplan einer dringenden Ergänzung bedurfte. Noch im November des Seuchenjahres 1871 genehmigten die Politiker abermals 16.000 Taler für Vorarbeiten an einem Entwässerungssystem. Mit der Unterstützung des Arztes Rudolf Virchow nahm Hobrecht das Großprojekt in Angriff und warf zunächst den lange diskutierten Plan des Geheimen Baurats Riebe beiseite, der die Berliner Kloake in den natürlichen Senken der Spree und ihrer Kanäle auffangen und entlang der Schifffahrtswege aus der Stadt hinausleiten und dem kleinen Flüsschen überantworten wollte. Hobrecht folgte damit dem Rat des Mediziners, der stinkende Pestsümpfe vor der Stadt befürchtete und sich gegen eine Entsorgung über die Spree aussprach. Virchow wollte die städtische Kloake in die ländlichen Gegenden leiten, wo sie ins Erdreich sickern und die Felder düngen sollten. Der neue Plan wurde heftig diskutiert. Die Zeitungen stritten, ob die Städteplaner ins »Irrenhaus oder ins Gefängnis« gehörten. Zur Realisierung kam es erst, als Arthur Hobrecht Oberbürgermeister der Stadt wurde und die Pläne des Bruders unterstützte. Versuche auf dem Tempelhofer Feld, das drei Jahre lang mit Abwassern berieselt wurde, waren Erfolg versprechend, sodass am 14. September 1873 in einem der am dichtesten besiedelten Gebiete Berlins mit dem Bau eines Pumpwerks begonnen wurde. Foto: Dieter Peters
Die denkmalgeschützte Station am Halleschen Ufer mit ihren riesigen Pumpen wurde zum öffentlichen Lapidarium, in dem die steinernen Statuen der Hohenzollern ausgestellt wurden. Heute sind die Türen für die Öffentlichkeit wieder fest verschlossen, denn die Stadt hat das Haus an einige Firmen abgegeben, die einen hohen Zaun um das Gebäude schmiedeten. Auch die Rieselfelder, die einst aus hygienischen Gründen geschaffen wurden, sind aus hygienischen Gründen inzwischen längst wieder abgeschafft. • |