Kreuzberger Chronik
April 2013 - Ausgabe 146

Essen, Trinken, Rauchen

Sas unter Muttis


linie

von Saskia Vogel

1pixgif
Die Baby-Stammclique ist wieder im »Avril«. Zusammen sitzt sie mit dem Nachwuchs auf dem Boden der Spielecke – schweigend. Das heißt, Sas schweigt und die anderen unterhalten sich. Die dünne Blonde mit dem Mater-Dolorosa-Gesicht ignoriert Sas besonders hartnäckig. Sas ist ein Outsider, ein Gelegenheitsgast, sie wird nicht gefragt. Marias rundliche Freundin erkundigt sich zumindest nach Mini-Sas´ Namen. Und wie alt sie denn sei. Sieben Monate, und schon so propper? Toll. Gesprächsthemen sind Bio-Brei, Windelsaugkraft und KiTa-Fragen.

In der KiTa »Kleinefröschehosenvoll« wird die mitgebrachte Vesper kollektiv auf den Tisch gelegt. Und dann könne sich jedes Kind die Tupperdose nehmen, die es möchte. »Und das!«, ereifert sich die dicke Ur-Mutter, das ginge »natürlich gar nicht«. Womöglich würde dann Klein-Mia die Milchschnitten der Assi-Kids aus der Düttmannsiedlung vespern. Und Justin-Leon sich an Mias ökologisch-korrekten Dinkel-Dingsbums gütlich tun. »Haben Sie vegane Pasta?«, fragen die Mütter die Kellnerin. Nein, Veganes gibt es leider nicht. Dafür Vegetarisches und Fisch. Sas bestellt sich einen ziemlich scharf gewürzten Meeresfrüchte-Eintopf und Salat mit Ziegenkäse und sehr leckerer Vinaigrette. Sie kann in aller Ruhe speisen, während Mini-Sas über den Straßenschuh-freien Boden robbt. Und Maria Dolorosas weinerlicher Brut frech im Gesicht rumpatscht. Was Sas nicht im geringsten stört.

Das Avril ist gut geeignet, um das Baby mal kurz aus dem Kinderwagen zu befreien, damit es die PEKiP-Übungen machen kann. Es gibt einen Wickeltisch mit fließendem Wasser und ausreichend Servietten. Und die Treppenstufen am Eingang lassen sich mit Hilfe engagierter Väter erklimmen, von denen garantiert immer einer anzutreffen ist. Wie die Flügeltür zu entriegeln ist, damit der Kinderwagen durchpasst, erklärt die Kellnerin gerne: »Hier am Scharnier einfach ziehen. Jetzt weißt du es – für das nächste Mal.« Offensichtlich gibt es viele nächste Male, denn der hintere Teil des Restaurants ist eine Familien-Bildungsstätte. Stammcliquen von Muttis und Vatis verkonsumieren hier jeden Nachmittag das steuerfinanzierte Elterngeld.

Da kommt Sas´ Kumpel Guntram. Unsicher nimmt er Mini-Sas auf den Schoß und kann gerade noch verhindern, dass sie den Kaffee vom Tisch schwappen lässt. Argwöhnisch beobachtet von der Frau Mariä fühlt sich Junggeselle Guntram – etwas beklommen. Immerhin ist anzunehmen, dass er der Kindsvater ist, der hier mit seinem Nachwuchs rödelt. Und damit wäre er Sas´ Mann und alle drei zusammen eine Familie. Chancen bei der Blonden bestehen unter diesen Voraussetzungen natürlich nicht. Dabei könnte die einen erfrischenden Flirt jenseits der Windelecke durchaus vertragen. Sas überlegt, einen Button anzufertigen für ihre Kumpel-Freunde: »Ich bin nur der Kumpel, Freundin!« Und mit vegetarischer Breikost und veganer Beikost habe ich auch nichts am Hut. Baby. •


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg