April 2013 - Ausgabe 146
Herr D.
Der Herr D. und die Fahrradstraße von Hans W. Korfmann |
Vom Personalmangel der Polizei Der Herr D. saß im Café, beobachtete seine hübsche Nachbarin, die Zeitung las, und hörte im Radio die Nachrichten. Er erfuhr unter anderem, dass das Wetter in den nächsten 500 Jahren weiterhin launisch sein würde, und dass es der Berliner Polizei an Personalkräften fehle, sie aber keine neuen Mitarbeiter einstellen könne, da man das gesamte Budget für die technische Aufrüstung durch neue Computer und Überwachungssysteme verwandt hatte. Nun fehlte es an allen Straßenecken an Schutzleuten. »Dass Siemens Stellen abbaut, um den Gewinn zu optimieren, leuchtet mir ein. Aber wenn die Polizei Wachtmeister durch Technik ersetzt, grenzt das an Blödsinn«, sagte seine Nachbarin. Sie brachte alles erstaunlich schnell auf den Punkt. Der Herr D. war sich nicht sicher, ob er seine Nachbarin dafür lieben oder beneiden sollte. Wenig später bog er gut gelaunt von der Lilienthalstraße in die kleine Fahrradstraße ein, die an den Friedhöfen entlang bis zur Markthalle führte. Da sah er vor sich ein Polizeiauto. Es kam auf ihn zu. »Es gibt ja doch noch ein paar Polizeistreifen!«, murmelte der Herr D. und hielt sich in der Mitte der Fahrradstraße, auf der Radfahrer eine generelle Vorfahrt genossen. Als das Auto näher kam, rückte der Herr D. etwas nach rechts. Das Polizeiauto allerdings machte keinerlei Anstalten, dem Radfahrer auszuweichen, um ein reibungsloses Passieren der zwei Verkehrsteilnehmer zu ermöglichen. Das Polizeiauto insistierte auf der Mitte der Fahrbahn. Da rückte der Herr D. wieder ein wenig nach links. Die Polizei war nun schon bedenklich nahe, und wenn es nicht im letzten Moment etwas abgebremst und einen Finger breit nach rechts gerückt wäre, dann hätte es womöglich eine spektakuläre Feindberührung gegeben. So aber gab es nur ein kleines, verbales Geplänkel durch die heruntergekurbelte Scheibe des Autos. »Können Sie nicht an der Seite fahren, Mann?« »Das ist eine Fahrradstraße. Wir haben hier Vorfahrt!«, rief die Nachbarin über die Schulter des Herrn D. hinweg. Sie hatte seine Brille auf dem Cafétisch gefunden und war ihm gefolgt. »Und Sie dürfen hier eigentlich doch nur mit Blaulicht durchfahren, oder?« »Jetzt werden Sie mal nicht frech!«, sagte der Polizist. Doch die Nachbarin fuhr frech fort: »Anstatt die Fahrräder wegen fehlender Rücklichter anzuhalten, sollten Sie lieber dafür sorgen, dass nicht ständig Autos durch die Fahrradstraße rasen. Wenn Sie hier zwei Leute abstellen würden, einen vorn und einen hinten, die kontrollieren, wer hier verbotener Weise durchfährt, dann könnten Sie täglich Strafzettel im vierstelligen Bereich ausstellen.« »Haben Sie kein Radio gehört? Wir haben zu wenig Personal!«, sagte der Polizist und hob zum Gruß die Hand. Die Nachbarin reichte dem Herrn D. die Brille. Und der Herr D. musste schon wieder darüber nachdenken, ob er seine Nachbarin beneiden oder lieben sollte. • |