September 2012 - Ausgabe 140
Essen, Trinken, Rauchen
Die Bar Italia von Horst Unsold |
Er sagte: »Natürlich kann man seinen Kaffee auch im Molinari trinken. Oder in der Markthalle beim Dicken Bruno. Oder in der Espressolounge oder in sonst irgendeinem der 150 Cafés in der Bergmannstraße. Aber in der Bar Italia schmeckt er einfach am italienischsten. Das liegt nicht am Kaffee. Natürlich ist der gut, er duftet nach Italien bis zur nächsten Straßenecke, der Schaum ist so dick wie ein Kopfkissen, und schon bevor man das halbe Tässchen getrunken hat, redet man so schnell und so viel wie Marcello Mastroiani. Aber es ist nicht der Kaffee. Es ist die Atmosphäre in der winzigen Bar, das Alltägliche und Ungekünstelte. In der Bar Italia verabredet man sich nicht, da geht man allein rein, wenn man einen Kaffee braucht, weil einem die Augen zufallen von einer dieser langen Nächte. Da geht man rein, weil man vor der Tür gerade jemanden getroffen hat, den man – ganz wie im Film - mindestens 24 Stunden nicht gesehen hat, und weil man – ganz wie im Film – sich immer so viel zu erzählen hat. Und dann steht man vor der lauten Espressomaschine und schreit sich – ganz wie im Film – die Geschichte von Leila oder Lutz ins Ohr, während zehn Zentimeter weiter jemand gelangweilt seine riesige Zeitung auffaltet. In der Bar Italia trifft man sich morgens, vor der Arbeit, oder nachmittags, nach der Arbeit. Oder irgendwann ganz kurz mal so zwischendurch. Die Bar Italia ist nichts Außergewöhnliches. Sie ist komplett gewöhnlich und vollkommen normal. Genau das verleiht ihr diesen italienischen Charme. Die laute Kaffeemaschine, die lässige Bedienung, die schwarz-lackierten Biertische, die matten Bodenfliesen, die von der Spülmaschine zerkratzten Wassergläser. Und deshalb ist diese Bar nicht der Treffpunkt der Welt, sondern ein Asyl der Kreuzberger. Hier werden sie von den gutgelaunten, überall herumchillenden Touristen verschont. In der Bar Italia trifft man stattdessen ständig schlecht gelaunten Bekannte, die gerade irgendeinen extremen Ärger mit ihren Vermietern, ihren Chefs, ihrer Bank oder ihren Männern oder Frauen haben, und die - genau wie im Film – drauf und dran sind, ihren Rucksack zu packen und für 3 Monate nach Asien zu verschwinden. Aber nicht, ohne vorher noch einen Espresso in der Bar Italia zu trinken. Und wenn diese Flüchtlinge dann nach drei Monaten glücklich an einem trüben Januarmorgen wieder aus den Ländern des Lichtes nach Berlin heimkehren, dann sagen sie dem Taxifahrer: Nach Kreuzberg bitte, in die Bar Italia.« Sagte der gutgelaunte Guide mit der schicken Sonnenbrille und der blonden Tolle und wollte die Gruppe ausländischer Journalisten, die angereist war, um über das alte Kreuzberg zu berichten wie über das versunkene Atlantis, auf einen Kaffee in die kleine Bar einladen. Doch eine Journalistin aus Spanien erhob Einspruch: »Können wir diese alten Kreuzberger nicht einfach mal in Ruhe lassen?« • |