Oktober 2012 - Ausgabe 141
Strassen, Häuser, Höfe
Die Urbanstraße von Werner von Westhafen |
Kaum eine Straße trug so viele Namen wie sie Einst führte die Urbanstraße von Rixdorf nach Berlin. Am Ende der Hasenheide, die am Fuß der hügeligen Weinberge entlang über die heutige Bergmannstraße bis zum Kreuzberg führte, bog sie nach Norden in Richtung der Spree ab und führte durch eine weite Sumpflandschaft, die zuerst Urlake, Erlenlake und Entensumpf, Anfang des 18. Jahrhunderts dann Arlakke oder Aarlacke, wieder etwas später Urlack und zuletzt Arläcker hieß. Die vielen Namen belegen, dass sie zu jenen alten Pfaden gehören muss, die schon in jenen grauen Vorzeiten von Menschen ausgetreten wurden, als noch Entenschwärme und andere wilde Tiere in den Sümpfen vor der Stadt brüteten. Jahrhunderte lang markierte dieser Weg die Grenze zwischen Cölln und Berlin. Der heutige Name, den die Straße 1874 anlässlich der Bebauung der Schlächterwiese erhielt, soll sich auf das alte Urlake beziehen, jene weite und gut überschaubare Sumpflandschaft, in der alten Erzählungen nach Schafhirten ein so gemütliches Dasein führten, dass sie nebenbei Strümpfe stricken konnten. „Die ganze Gegend war für den Ackerbau sehr unbrauchbar, denn der Roggen stand so dicht, daß man darin spazieregehen konnte und die Sperlinge während der Ernte verhungerten“. Es waren ruhige Zeiten, nur unter der „Freiheitslinde“ vernahm man hin und wieder die aufgeregten Diskussionen des „Demokratischen Clubs“, der zu seinen Beratungen unter dem Baum am Wiesenrand zusammenkam. Auch in der „Bairisch-Bier-Brauerei“ mit ihrem großen Garten, der von der heutigen Fichtestraße bis zur heutigen Hermannstraße reichte, wurde es an den Wochenenden manchmal etwas lauter. Der Bayer mit dem für Berliner zu komplizierten Namen Vilain trug den Beinamen „Sturm“, und so stark wie ein Sturm soll auch sein Bier gewesen sein. Sonst vernahm man nur das gemütliche Malen der Wiederkäuer. Die Wiesen der Schlächter, die ihr Vieh auf den Weiden vor der Stadt mästeten, reichten noch bis zum Landwehrgraben und standen nach Regenfällen immer unter Wasser. Auch jenseits der Straße am südlichen Wiesenrand ging es ruhig zu, Ali Aziz Efendi gab keinen Mucks mehr von sich. Der 1798 plötzlich verstorbene Gesandte des Osmanischen Reiches wurde von Friedrich Wilhelm III ehrenvoll und nach islamischen Riten neben dem alten Feldweg bestattet, 1804 gesellte sich Bauzeichnung der Fassade zur Urbanstraße, 1913 auch sein Nachfolger Mehmed Esad Efendi dazu. Der nunmehr älteste islamische Friedhof in Deutschland mit seinen zwei kleinen Gräbern lag „mitten auf der Wiese“ und „war ein von Bäumen eingefaßter Platz“, an dem „viele dort nistende Singvögel, namentlich Rotkehlchen,den Toten ihre Lieder“ sangen. Währen der Freiheitskriege aber wurden die beiden Efendis vergessen, erst 1836 entdeckte ein Bauer die beiden Gräber. Als einige Jahre später die Soldaten des Kaiser Franz-Garde-Grenadier-Regiments Nr. 2 am Feldweg einzogen, mussten die osmanischen Gesandten auf das Tempelhofer Feld verlegt werden, wo sich noch heute die beiden Zwillingstürme einer Moschee aus dem Wäldchen erheben. Auch die große Kaserne, die einst Quartier für knapp 2000 Soldaten bot, ist inzwischen wieder verschwunden. Nur das alte Offizierskasino steht noch mit seiner großen, zweiflügeligen Freitreppe und den imposanten Parkettsälen. Die vermeintliche Villa, in der seit über fünfzig Jahren das Nachbarschaftsheim Urbanstraße residiert, ist eines der schönsten Gebäude Kreuzbergs, in dem bis heute getanzt und gefeiert wird. Eine große Freitreppe führt hinter dem Gebäude in einen kleinen Park mit den alten Kastanien, unter denen einst die Offiziere mit ihren untergehakten Damen lustwandelten und heute Kinder einer nahegelegenen Kita spielen und Erwachsene an kleinen Tischen bei Kaffee und Kuchen plaudern. Die Villa entstand erst im Jahre1914 auf Wunsch der Herren in den feinen Uniformen, die mit der einfachen „Offiziersspeiseanstalt“ nicht mehr zufrieden waren. Der österreichische Kaiser spendierte ihnen einen prächtigen Kamin, im Vorraum des Hochparterres saßen sie in bequemen Ledersesseln, und die Tafel im Speisesaal war 40 Stühle lang. Doch das Glück hielt nur ein paar Jahre lang, dann scheuchte der 1. Weltkrieg die Offiziere aus den Sesseln. Einige von ihnen kehrten aus dem Krieg nicht ins Kasino, sondern in das Haus auf der anderen Straßenseite zurück, das 1890 an der Urbanstraße errichtet wurde: Das Krankenhaus am Urban. In den Sümpfen brüten keine Enten und stehen auch keine Kühe mehr. Und nicht weit von dort, wo einst die hölzernen Baracken der Wohnungslosen standen, die auf den Wiesen vor der Stadt das Ghetto von Barackia geschaffen hatten, werden die Pavillons der alten Krankenstationen des Urbankrankenhauses zu vornehmen Eigentumswohnungen umgebaut, die Farbe grauen Zements mischt sich in die alte Berliner Zweisamkeit von Backsteinrot und grünem Laub, und die Linde der Demokraten ist auch schon lange gefällt. • |