Oktober 2012 - Ausgabe 141
Literatur
Ein Besuch in Barackia von Max Ring |
Unser Ziel war der sogenannte Cottbuser Damm. Auf dem Wege dahin gingen wir durch eine Reihe erst vor Kurzem entstandener Straßen, welche von Neuem ein Zeugniß für den zunehmenden Wachsthum, für die Wohlhabenheit und den Unternehmungsgeist der Residenz ablegen. Zu beiden Seiten des von reich beladenen Schiffen und Spreekähnen belebten Canals erblickten wir die schönsten Häuser, prachtvolle Paläste, kolossale Fabrikanlagen, reizende Villen, von freundlichen Gärten umgeben, ein wirklich herzerfreuendes Schauspiel.(...) Es folgten mehrere große Holz- und Kohlenplätze, endlich nur noch Wiesen und Felder, die mit Korn und Kartoffeln spärlich bepflanzt waren. Hier, wo die städtische Cultur gewissermaßen aufhörte, standen zu beiden Seiten des Weges eine Anzahl von rohen Holzhütten (...) „Wir sind in der Republik Barackia,“ sagte mein ironischer Freund auf die ärmlichen Hütten deutend. Unter seiner Leitung betrat ich die uns zunächst liegende Colonie, die aus ungefähr zwölf solchen Baracken bestehen mochte. Am Eingange empfing uns der Präsident dieser neuen Niederlassung, der zwar nicht wie sein College Johnson von Profession ein Schneider, sondern ein Tischler war. Mit anerkennungswerther Würde und freundlicher Herablassung machte Herr Schmidt die Honneurs seines Hauses. War auch dasselbe nicht ganz so elegant wie das „Weiße Haus“ des Präsidenten der amerikanischen Union, so machte es doch einen weit bessern Eindruck, als wir erwarteten. Die einzige Stube, welche zugleich als Empfangssalon, Wohn-, Speise- und Schlafzimmer diente, war sogar mit einem gewissen Comfort ausgestattet und besaß Tische, Stühle und Betten. Die Küche, ein kleiner Feldofen, befand sich im Freien und der Keller, ein gewöhnlicher Flaschenkorb, lag dicht an der Thür und schien uns gut gefüllt. Herr Schmidt hatte die Freundlichkeit, uns der Frau Präsidentin vorzustellen, die erst vor Kurzem die Republik mit einem neuen Sprößling beschenkt. Der junge Staatsbürger erfreute sich der besten Gesundheit, trotzdem er in einer Baracke das Licht der Welt erblickt hatte. Zur Erinnerung an diese interessante Thatsache wurde ihm in der Taufe der Name Freifeld Schmidt beigelegt, weil er auf freiem Felde geboren war. Wie wir hörten, hatte der glückliche Vater ursprünglich die Absicht, den deutschen Kaiser Wilhelm als Taufzeugen einzuladen. Obgleich aus uns unbekannten, wahrscheinlich politischen Gründen diese Courtoisie unterblieb, soll es doch bei dem Feste sehr heiter zugegangen sein, vielleicht noch heiterer als bei der jüngsten Taufe im Palais des Kronprinzen. Man trank auf das Wohl des Neugebornen und ließ es weder an den üblichen Reden noch an gereimten und ungereimten Toasten fehlen. Entnommen aus: Die Gartenlaube, Liepzig, 1872. |