Kreuzberger Chronik
Oktober 2012 - Ausgabe 141

Geschäfte

Die Näh-Club-Café-Oase


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von Horst Unsold

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Klaus Kühn wohnt seit 30 Jahren in der Straße. Jetzt hat er einen Laden eröffnet.

Da ist schon wieder einer dieser Läden, von denen man nicht weiß, was das eigentlich für ein Laden ist. Er liegt neben der Osteria No I in der Kreuzbergstraße und nennt sich eine Näh-Club-Café-Oase.

Von der Oase hat er zumindest das Logo der Palme, deren Blätter denen des Cannabis womöglich nicht zufällig ähneln. Auch die ruhige Atmosphäre des Souterrains ist Indiz für eine Oase am Rand der lauten Stadt.

Ein Club ist der Laden deshalb, weil der Besitzer schon seit dreißig Jahren in der Straße wohnt, und weil er glaubte, ohnehin die meisten seiner zukünftigen Kunden zu kennen. „Hätte ich den Laden früher aufgemacht, dann hätte wahrscheinlich der halbe Kiez hier gesessen und bei mir Kaffee getrunken. Die kannten mich ja alle.“ Außerdem ist es ein Club, weil die Clubmitglieder einen Mitgliedsbeitrag von einem Euro pro Tag zahlen müssen, wenn sie an einer der sechs Nähmaschinen gegen ein kleines Entgelt etwas Nähen oder Reparieren, wenn sie Wäsche waschen oder das Internet nutzen wollen.

Dafür, dass es sich bei dem Souterrainladen um ein Café handelt, sprechen „Kaffee und Kuchen“ sowie die sechs kleinen Lehnsessel aus den Sechzigerjahren mit ihren Kaffeehaustischen. Die meisten Indizien aber deuten darauf hin, dass es sich bei dem Laden um ein Nähstudio oder einen Kurzwarenladen handelt. Die Strickliesel im Schaufenster, die Garnrollen, Stickrahmen, Knöpfe, Ösen, Laschen und Reisverschlüsse in den Regalen, die Nähmaschinen und Stickmaschinen, das Kunstleder und die Stoffballen im Regal gehörten einst zur Ausstattung eines jeden Kurzwarenladens. Auf dem Tisch im Arbeitsraum liegen Papierschnitte und Zeichnungen, auf dem Bügelbrett steht das Bügeleisen bereit.

Allerdings ist das alles noch längst nicht alles, was es in der Oase, dem Café oder dem Club oder dem Nähzubehörgeschäft gibt. Es gibt Teddybären, Stofftaschen, einen Ständer mit Second-Hand-Klamotten und eine Geschenkabteilung mit einer Sparkuh aus Porzellan, eine „Antik-Ecke“ und Ölbilder einer Künstlerin an der Wand. Wahrscheinlich ist in diesem Souterrain in der Kreuzbergstraße so ziemlich alles versammelt, was es in Läden überhaupt gibt.

Foto: Dieter Peters
Aber noch ist ja Platz im Schaufenster von Klaus Kühn. „Ich halte immer was frei. Wenn jemand was Interessantes macht, dann kann er das bei mir ins Schaufenster stellen. Ich hatte eigentlich mal die Idee, mit diesen ganzen Leuten, die etwas selbst machen und nicht nur verkaufen, also dem Kerzenladen in der Hagelberger oder dem Atelier Hühnlein zum Beispiel einen gemeinsamen Flyer zu machen, um uns hier im Kiez mal vorzustellen. Aber die Resonanz war schwach. Es ist eben doch schon ziemlich bürgerlich geworden hier im Kiez.“

Die bürgerlichen Männer tauchen auch nur selten in den Nähkursen und Workshops auf, die Klaus Kühn veranstaltet. Es sind eher die Frauen, die zu ihm kommen, und die dem Altkreuzberger schnell einmal das „Du“ anbieten. Nicht etwa, weil der nähende und strickende Mann etwas verführerisch Weibliches an sich hätte, eher im Gegenteil. Klaus Kühn ist Schreinermeister, er raucht und trinkt und macht am liebsten alles selbst. Ob das nun ein Kuchen oder ein Haus ist.

„Nähen war eigentlich nur so ein Hobby von mir.“ Aber als er die Schreinerei aufgeben musste, weil der Rücken vom vielen Arbeiten allmählich zu schmerzen begann, als man ihm riet, sich einen ganz gemütlichen Job zu suchen, und als er in der Zeitung von der Auflösung einer Schneiderei auf Rügen las, fuhr er hin und lud den ganzen Stoff auf. Und fragte wegen des kleinen Laden im Souterrain an, der seit Tagen leer stand, und in dem früher Elektro Kraft und noch früher schon einmal ein Geschäft mit Nähzubehör war: Rattke Strickwaren.

Klaus Kühn sprach mit dem Verwalter, doch die Miete war zu hoch. Schon hatte ein Getränkeladen den Fuß in der Tür zum Souterrain der Nummer 72. Doch Kühn gab nicht auf, mahnte an das Gewissen, sprach von der Tradition des Handwerks im Haus und davon, dass Eigentum verpflichtet. Es war die Eigentümerin persönlich, eine alte Berlinerin, die Kühn am Ende den Zuschlag gab, auch wenn er nicht so viel zahlen konnte wie der Getränkeverkäufer.

So zog er ein, und weil ihm der Arzt lange Spaziergänge empfohlen hatte, legte er sich einen Hund zu. Und weil der Hund ein Hundebett brauchte, nähte er ihm ein Hundebett. Das Hundebett war so schön, dass bald die halbe Kreuzbergstraße Hundebetten bei Kühn bestellte. Heute ist sein „Fifibett“ eine geschützte Marke. Auch zu Teddybären wurden die Stoffe aus Rügen verarbeitet, ein Regalbrett ist von Bären in verschiedensten Formen und Farben besiedelt. „Und dann kam eins zum andern.“ Je länger Kühn in diesem Laden war, um so mehr Ideen kamen ihm. Und weil ihm die Ideen nie ausgehen, wird dieser kleine Laden womöglich eines Tages einmal ganz etwas anderes und nochz viel mehr sein als nur so eine Näh-Club-Café-Oase•

Foto: Dieter Peters
Foto: Dieter Peters

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