März 2012 - Ausgabe 135
Kreuzberger
Filiz Taskin Ich fragte mich, warum ich mir das alles antat
von Canset Icpanar
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Die Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar beschreibt in einem ihrer bekanntesten Bücher ihre ersten Tage als Akkordarbeiterin in Berlin und das Zusammenleben mit den anderen Landsfrauen in Kreuzberg. Eine von diesen Frauen ist Filiz Taskin. Wie viele andere »Gastarbeiterinnen« war sie mit einem Einjahresvertrag nach Deutschland eingereist. Geblieben ist sie bis heute. Ebenso wie Özdamar. Doch während die Schriftstellerin ihre Erlebnisse literarisch verarbeitet, näht Filiz Taskin ihre Erinnerungen in Patchworkdecken. »Blumenlandschaft«, oder »Yedi Dagin Cicegi« - die Blume von den sieben Bergen -heißen diese Decken. Sie sind aus ozeanblauen, smaragdgrünen oder sonnengelben Stofffetzen zusammengesetzt, und sie alle erzählen Geschichten. Geschichten aus der Heimat, und Geschichten, die Filiz Taskin erlebte, seit sie ihre Heimat verlassen hat. Filiz Taskin kam im Herbst 1963 nach Berlin. Sie kann sich noch gut daran erinnern, dass es grau und kalt war, als sie mit dem Zug am Münchener Bahnhof ankam, und dass der Kaffee, den sie zur Begrüßung auf der Bahnhofsmission bekam, wässrig und das Brötchen hart gewesen war. 50 Jahre später sitzt sie an einem sonnigen Herbsttag in ihrem Kreuzberger Stammcafé, dem Café Kotti am Kottbusser Tor, oben auf der Galerie. Der Kaffee schmeckt wunderbar, aber »wie soll ich diese lange Zeit zusammenfassen?« Filiz Taskin seufzt und nimmt eine Zigarette aus ihrem Etui. Doch einmal angefangen, ist die sie kaum mehr zu stoppen, Namen, Daten, sogar Uhrzeiten fallen ihr plötzlich alle wieder ein… Angefangen hat alles in Bursa, der Hauptstadt einer Provinz im Nordwesten der Türkei am Marmarameer, die ihrer Heilquellen wegen berühmt ist. Mitten durch die grüne Landschaft zieht sich das oft schneebedeckte Uludag-Gebirge. Der Stadtteil, in dem Filiz Taskin aufwächst, wurde früher einmal von Sufis bewohnt, später lebten hier Arbeiter. Auch die Eltern von Filiz sind Arbeiter, doch sie trennen sich, als die die Tochter sieben Jahre alt ist. Filiz zieht zu ihrer Mutter nach Istanbul, und schon mit 13 beginnt sie zu arbeiten - in einer Likörfabrik. Doch das junge Mädchen hat keine Lust, sein Leben lang in einer Fabrik zu verbringen. »Ich hatte eine Arbeitskollegin, die dort ihr ganzes Leben geschuftet hat. Aber so wollte ich nicht leben.« Zu dieser Zeit entdeckt Filiz Taskin das Nähen, schon ihre Mutter und ihre Großmutter haben mit Handarbeiten Geld verdient. Eines Tages überrascht sie ihre Mutter mit einem Kleid, das sie in wenigen Stunden genäht hat. »Der Stoff stammte aus der Hochzeitstruhe meiner Mutter. Meine Mutter konnte Foto: Privat
Foto: Privat
Kurz darauf beginnt die junge Frau eine Ausbildung bei Meister Niko, einem griechischen Herrenschneider in Beyoglu, einem Viertel, in dem seit Jahrhunderten Griechen, Armenier, Juden und Westeuropäer wohnen. Gleich am ersten Arbeitstag drückt ihr der Schneidermeister die Schlüssel des Ateliers in die Hand und bittet sie, am nächsten Tag aufzuschließen. Das tut sie die fünf Jahre lang: »Könnt ihr euch vorstellen, was für ein Vertrauen dieser Mensch mir entgegengebracht hat?« Sie erzählt von Jorgos, der die großen Nähmaschinen bediente, oder von Madame Katina, die Knopflöcher für die Jacken ränderte, aber wenn sie von ihrem Chef spricht, dann spricht sie von »Usta« – von ihrem Meister. Manchmal habe sie sich heimlich an die Nähmaschine gesetzt und etwas genäht, und schon nach zwei Jahren hatte sie die Ausbildung abgeschlossen. Zwei Jahre, in denen die türkische und die griechische Familie regelrecht zusammengewachsen waren, »sogar Weihnachten feierten wir zusammen. Dabei ist das in griechischen Familien gar nicht üblich, an so einem wichtigen Feiertag Fremde einzuladen«. Doch dann kommt das Jahr 1963, auf Zypern kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Türken, auch in Istanbul bekommen die Griechen die Krise zu spüren. Und Meister Niko beschließt, zurück nach Griechenland gehen. Auch die junge Türkin will jetzt nicht mehr bleiben, »die politische Entwicklung der Türkei war besorgniserregend.« Sie beschließt, nach München zu fahren, wo einer ihrer Freunde studiert. Doch dann hört sie, dass Telefunken in Berlin Schneiderinnen sucht, und ändert ihre Pläne. Zwei Wochen später sitzt sie im Zug. Zwei Tage und drei Nächte dauert die Fahrt, und sie »war eine der wenigen Unverheirateten in diesem Zug. Ich erinnere mich, wie viele Mütter in diesem Zug waren, die ihre Kinder und Familien zurückgelassen hatten. Erst als ich selbst Mutter war, habe ich begriffen, wie diese Frauen gelitten haben müssen. So schwirrten in unserem Waggon Freude und Leid durcheinander.« In München stiegen sie um in einen Zug nach Hannover, wo sie in ein Flugzeug steigen. Früh am Morgen landet sie mit sieben weiteren Frauen aus ihrer Heimat auf dem Flughafen Tempelhof. Die Leiterin des Wohnheims, eine Türkin, zeigt ihnen das Haus in der Stresemannstraße und drücke ihnen die Hausordnung in die Hand. Die war bereits »typisch deutsch!« »Wonaym« und »Sch-tre-se-mann-sch-tra-sse drei-ssich« sind die ersten deutschen Worte, die Filiz Taskin sich einprägt. Aufstehen morgens um vier, mit dem 24er Bus nach Moabit, Arbeitsbeginn um sechs Uhr früh, am späten Nachmittag Feierabend - das ist der Alltag der Frauen im »Wonaym«. Deren erste rebellische Aktion besteht darin, die ungeliebte Heimleiterin per Unterschriftensammlung rauszuschmeißen: Sie hat türkische Spezialitäten aus den Lebensmittelpaketen entwendet, die für die Bewohnerinnen bestimmt waren. Ihr Nachfolger wird der damalige Student und spätere Theaterregisseur Vasif Öngören. Er bringt Schwung in den Wohnheimalltag. Durch ihn lernen die Arbeiterinnen türkische Studenten kennen - und Filiz Taskin ihren späteren Ehemann Güner Yüreklik. Öngören nimmt die jungen Frauen an den Wochenenden mit nach Ostberlin zu Aufführungen im Berliner Ensemble. An seiner Seite machen der einfachen Mädchen vom Lande ihre ersten politischen Erfahrungen. Für Filiz Taskin jedoch ist Politik nichts Neues. Ihre Eltern legten großen Wert auf Freiheit, auch auf die Meinungsfreiheit: »Als Kind habe ich jeden Abend meinem Vater aus der Zeitung vorgelesen, anschließend diskutierten wir über die politischen Ereignisse.« Die junge Frau aus Bursa wusste schon früh, was sie wollte, und es überrascht nicht, dass sie nach anderthalb Jahren bei Telefunken kündigt, das »Wonaym« verlässt und mit zwei Freundinnen und ihrem späteren Ehemann eine der ersten Wohngemeinschaften in Berlin gründet. Zu dieser Zeit sind die sonst für Berlin so typischen WG‘s noch nicht sehr verbreitet, erst recht nicht in Gastarbeiterkreisen. Filiz Taskin arbeitet jetzt bei Bosch, ist 1967 an der Gründung des ersten sozialistischen türkischen Vereins in Berlin beteiligt und nimmt an einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg teil, was dem Vorarbeiter gar nicht gefällt. Dennoch wird Frau Taskin mit riesiger Mehrheit 1972 zur Betriebsrätin gewählt. Sie hat, erzählt sie rückblickend, während ihrer fast zweijährigen Amtszeit nur einer einzigen Kündigung zustimmen müssen. Doch nach anderthalb Jahren sind die Differenzen zwischen ihr und den anderen Betriebsratsmitgliedern so groß, dass sie beschließt zu gehen. Auch privat hat sich Frau Taskin nach der Geburt ihrer Tochter von der türkischen linken Szene distanziert. Und bei einem dreimonatigen Aufenthalt in der Türkei wird ihr Bild von den Linken auf den Kopf gestellt: »Während mir die Genossen hier vorwarfen, ich kaufe zu teure Babynahrung für meine Tochter, unterhielten dort die Herren an der Spitze der Bewegung Bedienstete.« Trotzdem geht sie noch einmal in die Türkei zurück. 1976 zieht sie nach der Trennung von ihrem Mann mit ihrer zweieinhalbjährigen Tochter nach Yalova in die Nähe von Istanbul, wo ihre Eltern jetzt wohnen. Drei Jahre bleibt sie, dann kehrt sie nach Deutschland zurück: »Meine Tochter hat ihren Vater so sehr vermisst. Außerdem waren die Arbeitsbedingungen dort noch schlechter als in Deutschland. Ich fragte mich, warum ich mir das alles antat.« 1979 kehrt sie zurück und eröffnet am Mariannenplatz ein kleines Geschäft In ihrem »Filiz-Laden« verkauft sie Handarbeiten und Patchworkdecken. Doch Arbeit allein reicht zum Leben nicht aus. Also organisiert sie 35 Jahre nach ihrer Ankunft auf dem Tempelhofer Feld ein Treffen mit ihren ehemaligen »Wonaym«-Mitbewohnerinnen. Daraus entsteht eine Frauengruppe, die sich einmal wöchentlich im Familiengarten in der Oranienstraße trifft. Zehn Jahre lang betreut sie eine Seniorengruppe, gründet einen Chor, der im Ballhaus Naunynstraße auftritt. Im Kreuzberg-Museum hat sie an zahlreichen Ausstellungen zur Geschichte der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter mitgewirkt. Anlässlich ihres 40. Berlinjubiläum stellt sie 40 Patchworkdecken aus, die im Lauf der Jahre entstanden sind: »40 Decken, eine für jedes Jahr.« Vor zwei Jahren ist Frau Taskin in den wohlverdienten Ruhestand gegangen. Zut Ruhe aber ist sie noch immer nicht gekommen. Sie hat noch viel vor, die junge Frau, die vor fast 50 Jahren nach Berlin kam. Sie wird dieses Fünfzigjährige feiern - mit einer weiteren Ausstellung: »101 Patchworkdecken!« zwinkert Filiz Taskin - »und Märchen aus Tausendundeiner Nacht«. • |