Kreuzberger Chronik
März 2012 - Ausgabe 135

Mein liebster Feind

Achter Brief


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von Katja Neumann

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Mein lieber Herr Frings - manchmal fehlen mir die Worte! Nicht etwa, weil mir nichts einfiele, und weil ich Ihnen insgeheim schon wieder beipflichten muss, wenn Sie schreiben, dass man mit dealternativen Medizin im alternativen Kreuzberg gute Geschäfte machen kann, und dass es ärgerlich ist, wenn auch seriöse Apotheken nun ihre Schaufenster mit wirkungslosen Wundermitteln schmücken.

Es ist nicht der Standpunkt, den Sie vertreten, es ist die Art und Weise Ihrer Argumentation, die mir missfällt und die mich sprachlos macht. Ich persönlich neige zur Nachsicht, wenn ich sehe, wie besorgte Mütter oder Frauen in der Midlifecrisis oder den Wechseljahren in der Bachblütentherapie ihr Heil suchen. Sie sind doch ein Mann, haben Sie doch Erbarmen mit diesen bemitleidenswerten Geschöpfen, die nur auf der Suche nach Hilfe sind, die ihnen von der klassischen Medizin verwehrt wird. Eine medizinische Versorgung der Bevölkerung ist in Deutschland nicht mehr gewährleistet, weil jeder Zahn, jede Brille, jede nicht gerade lebensbedrohliche Krankheit von unterbezahlten Kassenärzten und unterbezahltem Klinkpersonal schlicht nicht behandelt werden kann. Haben Sie denn nie gelesen, dass Arme früher sterben als Reiche, und dass die Lebenserwartung des Kreuzbergers um drei Jahre geringer ist als die des Wilmersdorfers?

Bachs Blüten können nur deshalb erfolgreich vermarktet werden, weil der Staat sich aus der Verantwortung gestohlen haben. Es sind doch nicht nur die staatlichen Bibliotheken, Schwimmbäder, Schulen, die wegrationalisiert werden, um die heruntergewirtschaftete Senatskasse aufzufüllen, es sind auch die Krankenhäuser, die Betten und Stellen streichen. Deshalb, lieber Herr Frings, lassen Sie doch unseren armen Kreuzbergern ihre Bachblüten.

Was aber Ihre persönliche Apothekerin angeht: Ist nicht auch die nur ein Mensch? Ein Geschäftsmensch, zugegeben -aber sind Sie wirklich so naiv, zu glauben, jeder Arzt, jeder Apotheker, jeder Mensch mit weißem Kittel habe einmal Medizin oder Pharmazeutik aus Überzeugung und Menschenliebe studiert? Schon damals, lieber Herr Frings, als Sie sich für die Juristerei entschieden, war es vor allem der Numerus Clausus, der die Studienwahl, und damit auch die Berufswahl der Abiturienten maßgeblich beeinflusste. Ein womöglich talentierter Chirurg oder Arzt hatte mit einem Notendruchschnitt von 3,5 keine Chance, seiner Berufung nachzugehen. Ebenso wenig wie ein Schüler mit einem Notendurchschnitt von 1,0 Schreiner wurde. Und so wurden Menschen mit zwei linken Händen, die nicht einmal einen Schuh flicken konnten, zu Zahnärzten oder Chirurgen.

Ihre Apothekerin macht Geschäfte, und es macht keinen Unterschied, ob sie Pillen oder Socken verkauft. Selbst in Kreuzberg – wo alles mal ein bisschen anders war – schon lange nicht mehr.

Ihre Katja Neumann


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