März 2012 - Ausgabe 135
Geschäfte
Der Plattenspielerladen von Hans W. Korfmann |
Eigentlich ist das gar kein Laden, der sich hinter der gläsernen Eingangstür der Nummer 17 verbirgt. Läden verbergen sich nicht, Läden machen auf sich aufmerksam, sie haben große Schaufenster im Erdgeschoß und eine Tür, die immer offensteht. In der Bergmannstraße Nr. 17 aber muss man klingeln, damit sich die Tür öffnet, und dahinter ist noch eine alte Holztür, durch die man gehen muss. Und dann, zwei Treppen hoch, steht man in einer Dreizimmerwohnung mit Stuck und abgeschliffenen Dielen, in der ein Anwalt seine Praxis haben könnte. Doch hier sind die Verkaufsräume von Phonophono. Einem Hifiladen, in dem man so ziemlich alles das findet, was man sonst nirgends findet. Plattenspieler, Amplifyer, Tonabnehmer... 15.000 verschiedene Artikel. Nicht alle sind in der Dreizimmerwohnung, einige sind zu groß dafür. Andere zu teuer. Es gibt Lautsprecher, die sind teurer als ein Einfamilienhaus! »Ich suche einen Plattenspieler für so 1500 Euro«, sagt ein junger Mann, »Aber eine Komplettlösung, und nicht in Schwarz. Sonst bekomme ich Ärger.« Der junge Mann hat schwarze Schuhe, eine schwarze Jacke, wahrscheinlich schwarze Unterhosen und wahrscheinlich eine Freundin, die keine Lust mehr hat auf so viel Schwarz. »Was kostet denn der da?« – »Der kostet 1300. Aber eine Plug & Play-Lösung ist das nicht. Da fehlen noch der Tonabnehmer und der Verstärker. Geräte, die sie auspacken, in die Steckdose stecken und spielen, sind selten geworden.« Die Zeiten, als man im Radiogeschäft ein Radio oder einen Plattenspieler kaufte, sind vorüber. So vorüber wie jene fernen Epochen, in denen noch eiserne Nadeln in den Rillen der herumeiernden Vinylplatten kratzen, und als aus den hölzernen Trichtern nur ein blasser Abklang von Musik erklang. Im ersten Stock der Bergmannstraße klingt es wie im Konzertsaal. Und wenn es einmal kratzt, dann ist es die Stimme des Sängers, die kratzt. »Wer singt denn da?«, fragt der Mann in Schwarz. Die Frau hat eine Stimme, die wie eine Mischung aus Winehouse und Joplin klingt. »Die kennen sie nicht? Die hat doch jahrelang mit Tom Waits das standhafte Trinken geübt!« »Und was kostet der da?« – »Oh«, sagt der Verkäufer, denn der Schwarze steht vor einem Transrotor, einem luxuriösem, auf Hochglanz polierten, massiven Edelstahlmodell. Es erinnert an die futuristische Weiterentwicklung einer fliegenden Untertasse, die mit ihren vier stählernen Landefüßen gerade auf der Erde aufgesetzt hat. »Ja, der kostet schon so etwa 3000 Euro«, sagt der Verkäufer. Der Roxan Xerces gleich daneben allerdings kostet »komplett mit elektronischer Motorsteuerung und Tonarm«, fast schon 5000 Euro. Die Modelle, die ihren Preis haben, haben allerdings auch ihre Art. Sie sind stilvolle Kunstwerke der Unterhaltungstechnik, silberne, schwarze, milchglasige und schwere Teller, auf denen sich die begehrten schwarzen Scheiben vollkommen geräuschlos und bewundernswert gleichmäßig drehen – bis der Tonabnehmer die Rille Platte berührt und die Musik beginnt. Phonopono verkauft keine Plattenspieler, sondern Kultgegenstände. Obwohl der Laden über der Bermannstraße »ein Laden für Jedermann« sein will. Tatsächlich gibt es Plattenspieler für 244 Euro, Verstärker für 339 Euro. Dass auch diese Geräte für High Fidelity sorgen, ist selbstverständlich: Schließlich verkaufen die Verkäufer hier nicht zum Spaß, sondern aus Leidenschaft. Gelernt haben sie ganz andere Berufe, sie waren Köche, Elektrotechniker oder Schiffskonstrukteure. Aber sie hatten alle ein Hobby: Sie bastelten gern an ihren Hifi-Geräten herum. Und dann kamen plötzlich diese Jahre, als die Plattenspieler aus den Regalen verschwanden und die CD-Player auftauchten. Und als man im Radiogeschäft dumm angesehen wurde, wenn man nach einem »Phonoausgang« fragte. So kamen sie zusammen, die Schiffsbauer und Köche. Und deshalb gibt es das alles jetzt bei Ihnen noch: Phonostecker, Tonabnehmer, Plattenteller, Tuner, Kabel, Ersatznadeln, Tonarme, Reinigungsmittel.... Das ist kein Laden, der sich hinter der Glastür der Bergmannstraße Nr. 17 verbirgt. Ein Laden steht immer offen, und in einem Laden gibt es immer einen Verkäufer, die die Kunden beschwatzt. Bei Phonophono gibt es keinen Verkäufer. Hier wird niemand überredet. Hier kann jeder frei entscheiden, ob er diesen sündhaft teuren Amplifyer von Mcintosh wirklich kaufen möchte, der, flankiert von zwei schlanken, aber hohen Lautsprechersäulen aus Edelhölzern, in der in der Mitte des Erkers steht und mit dem Namensvetter aus der Computerbranche nichts gemein hat. »Wahrscheinlich gibt es in dem ganzen Gerät nicht ein digitales Teilchen, der ist noch voller Röhren und Drähte.« Phonophono ist eine Kultstätte. Wie Säulen in der Kathedrale stehen die Lautsprecherboxen, wie Opferschalen sehen die Plattenteller unter den Leuchtern aus, und im Erker steht der Verstärker wie ein Altar im Kirchenschiff. In den Nischen aber, sind wie die Gebetsbücher in den Registern die alten Platten aufgereiht, die noch den Geist einer schon wieder vergangenen Epoche ausstrahlen: Aretha Franklin, John Lee Hooker, Jimi Hendrix. • |