Juni 2012 - Ausgabe 138
Reportagen, Gespräche, Interviews
Aufstand auf dem Friedhof von Hans W. Korfmann |
Aufstand auf dem Friedhof Der Pfarrer und die Bestattungsunternehmer wollen bauen. Doch unter den Schäfchen regt sich Widerstand Der Stein des Anstoßes ist aus Holz. Im Gutachten des Diplom Forstingenieurs Kretschmer steht: Aesculus hippocastanum, Rosskastanie, 22 Meter hoch, 293 cm Stammumfang. Er schreibt: „Für die geplante Baumaßnahme bestehen keine Einwände bezüglich des Erhaltes der Kastanie.“ Doch es regt sich Widerstand. Er kommt von den Bewohnern eines Hauses in der Heimstraße, die befürchten, dass die gewaltige Kastanie, die den Platz des 18. März im Hof der Heimstraße Nr. 22 beschattet, einen Teil ihrer Wurzeln und womöglich auch ihren Halt verlieren könnte. Denn der Baum beschattet nicht allein den Hinterhof des Miethauses, sondern auch einen Teil des Friedhofes. Und dort soll gebaut werden, gleich an der Mauer, die den Hinterhof vom Gottesacker trennt. Obwohl laut Baurecht ein Abstand von drei Metern zur Mauer eingehalten werden muss. Dass das Bezirksamt die Bestimmung aushebeln und die Baugenehmigung erteilen möchte, ließ die Anrainer aufhorchen. „Woher diese plötzliche Großzügigkeit?“, fragt eine der Bewohnerinnen aus der Nr. 22. Unsicherheit macht sich breit. Der Gärtner, der gerade dabei ist, eines der vorderen Gräber frisch zu bepflanzen, stützt sich kurz auf seinen Spaten: „Was genau das werden soll, weiß ich auch nicht. Die reden ja schon seit drei Jahren da drüber. Auf jeden Fall haben sie die alte Kapelle schon mal ausgeräumt und frisch gestrichen. Die soll auch erhalten bleiben. Aber die Remise daneben, in dem früher das Friedhofspersonal wohnte, soll dem Abschiedshaus weichen, das hier entstehen soll. Auch auf der Verwaltung weiß man nichts Genaues. Seit Gerüchte kursieren, dass auch die Friedhöfe ins Visier der Immobilienmakler gerückt sind, reagiert man auf neugierige Fragen zurückhaltend. Tatsächlich sind in den kleinen Häuschen und Kapellen unter dem Blätterdach der Friedhöfe bereits Mieter eingezogen, die mit dem Friedhofsleben wenig zu tun haben. Die Klingelschilder verraten den Sitz von „Strauß Kaffeerösterei und Catering“ und der Praxis einer „staatlich anerkannten Heilpädagogin mit kinderpsychotherapeutischer Zusatzausbildung“ zwischen den Toten. Obwohl ein Gesetz von 1995 die Niederlassung von Gewerben, die nicht „mit dem Friedhofszweck in unmittelbarem Zusammenhang stehen“, auf der kirchlichen Ruhestätte verbietet. Von einer Umwandlung der Friedhöfe in Bauland könne keine Rede sein, sagt der Verwalter. Natürlich kann auch er nicht in die Zukunft blicken, doch sicher sei, „dass hier noch eine ganze Menge Gräber für viele Jahre belegt sind. Da tut sich erst mal gar nichts“. Die Foto: Dieter Peters
Vor diesem Hintergrund ist das Misstrauen gegen die Abschiedshalle von Portadora verständlich. Die Internetpräsentation, auf der es heißt, man wolle sich auf „besondere Weise mit dem Thema Tod auseinandersetzen“ und „neue Ideen und Angebote entwickeln“, vermag die beunruhigten Kreuzberger nicht zu beruhigen. „Schon die Wortwahl“, so einer der Bewohner, signalisiere, „dass es hier nicht um seelischen Beistand, sondern vor allem ums Geschäft geht.“ Claudia Marschner aus der Fidicinstraße hat mit ihren schrillen Särgen für Schwule und Lesben deutlich gemacht, dass man in Kreuzberg nicht nur anders lebt, sondern auch anders stirbt. Auch das Angebot des Portals „Portadora“ ist alternativ: Es bietet neben Beratungen und Gesprächen mit Hinterbliebenen „Klangmassagen“ zur Unterstützung der Trauerarbeit, Musiker, Fotografen, Floristen und Steinmetze, die sich mit dem Thema Tod beschäftigen möchten, sollen bei der Verarbeitung eines Trauerfalles helfen. Das alles könnte den alternativen Altkreuzbergern eigentlich gefallen. Doch die Bewohner der Nummer 22 bleiben skeptisch. Sie haben sich vor Jahren zusammengetan und das Haus vor Investoren gerettet, indem sie es selbst kauften. Nicht zuletzt der Kastanie wegen, unter denen geheiratet und Geburtstage gefeiert wurden, in deren Schatten man trank und tanzte. Auch die Anwohner aus der Nummer 23 haben Bedenken und wollen auf die Barrikaden gehen, obwohl ein Gutachten besagt, dass der Kastanie bei dem dünnen Fundament, das für den Flachbau nötig wäre, keinerlei Schaden zugeführt würde. Man hat den Widerständlern sogar angeboten, einen zweiten Befund eines Gutachters ihrer Wahl erstellen zu lassen. Doch die „beratungsresistenten Kreuzberger“ lehnen jeden Dialog ab. „Ich komme mir vor wie in Zehlendorf!“, sagt Susanne Jung und packt das kleine Sperrholzmodell aus, das sie hat anfertigen lassen, damit sich die Anrainer ein Bild machen können von der Zukunft. Frau Jung ist Bestatterin aus Passion, sie hat „Respekt vor den Lebenden und den Toten“. Sie kämpft seit Jahren für dieses Projekt. „Es gibt in Berlin keine Möglichkeit, von Verstorbenen Abschied zu nehmen, weil es keine Aufbahrungshallen mehr wie gibt. Aber Menschen möchten Abschied nehmen. Sie möchten noch einmal in aller Ruhe einige Minuten oder Stunden mit ihren Toten zusammen sein. Das wollen wir hier möglich machen. Hier könnten die Hinterbliebenen Musik machen, Kaffee trinken, weinen oder lachen – oder einfach nur noch einmal neben dem Toten sitzen und sich erinnern.“ Diese Idee gefiel auch Pfarrer Quandt. Die Abschiedshalle ist eine Marktlücke, vielleicht könnte der chronisch unterbelegte Friedhof ja wieder schwarze Zahlen schreiben. Zudem haben sich Susanne Jung und ihre Mitstreiter bereiterklärt, die Kapelle, in die es bereits einregnet, zu restaurieren. Und ein artfremdes Gewerbe ist das der Bestatter auch nicht. Doch die Heimstraße Nr. 22 blockt. Allen voran eine ehemalige Mitarbeiterin des Bauamtes, zu alledem auch noch die Lebensgefährten eines äußerst streitbaren Altpolitikers: Frau Orlowsky. Und ausgerechnet das Bauamt muss nun entscheiden. Es hat die Eigentümer der Heimstraße Nr. 22 im Rahmen einer Anhörung aufgefordert, ihre Gründe gegen die Errichtung des Baus an ihrer Mauer dazulegen. Und sie sollen erklären, warum sie auf die Einhaltung der Bauvorschriften bestehen. Nun haben die Anwälte das Wort. Foto: Dieter Peters
„Der Baum ist in seinem Bestand gefährdet“, sagt der Landschaftsplaner Günter Stache. „Bei einem so alten Baum in die Krone einzugreifen, das macht man einfach nicht.“ Das offizielle Gutachten des Forstingenieurs, in dem es heißt, dass die Kastanie nicht gefährdet sei, wenn ihre „Krone fachgerecht gepflegt und zur Sicherheit verseilt wird“, beunruhigt ihn. Die Verseilung könnte ein Indiz dafür sein, dass in das Gleichgewicht des Baumes eingegriffen wird. Tatsächlich wird im Gutachten ein „anstehender Kronenschnitt“ erwähnt. Der Gutachter wiegelt ab, es handele es sich nur um tief hängende, kleinere Äste. Die Bewohner der Heimstraße aber befürchten, dass auch große Äste fallen sollen. „Wenn die Baugenehmigung erst einmal erteilt ist, können die am Ende machen, was sie wollen!“, sagt ein Journalist, der vom Fenster seines Arbeitszimmers auf die Kastanie blickt. „Da tritt dann plötzlich ein bautechnisches Problem auf, und dann heben die einfach die Schultern und sagen: Tut uns leid, wir müssen diesen Ast leider doch absägen... - Und keiner kann mehr etwas dagegen unternehmen.“ Deshalb versuchen die Bewohner, die 200 Jahre alte Kastanie nun zum Naturdenkmal zu machen. Doch Frau Jung gibt nicht auf. Wie der umtriebige Pfarrer Braun zieht sie mit ihrem hübschen Sperrholzmodell umher und wirbt für ihre Idee. Um das Bauvorhaben zu finanzieren, soll eine Stiftung gegründet werden, und um die Stiftung zu gründen, will sie jetzt ein Buch schreiben: „Letzte Reisen“ soll es heißen. Eine Sammlung von Erlebnissen aus dem Leben der Bestatterin, für die sich bereits namhafte Verlage interessieren. Ein Satz, den Frau Jung immer wieder zitiert, wird in diesem Buch nicht fehlen: „Die Lebenden schließen den Toten die Augen. Aber die Toten öffnen die Augen der Lebenden.“ Sie habe, so paradox das klinge, schon „Trauernde glücklich gemacht. Wo etwas aufhört, fängt auch etwas an.“ Sie hat schon viele überzeugen können mit ihren geschickt gewählten Worten: Den Pfarrer, die Kollegen, sogar das Bauamt. Fast steht dem Bauvorhaben nichts mehr im Wege. Wären da nicht die Bewohner Nummer 22. Ein paar echte Kreuzberger, standhaft wie die Gallier. Sie werden nicht aufgeben. Und das weiß auch das Amt. • |