Juli 2012 - Ausgabe 139
Strassen, Häuser, Höfe
Die Gneisenaustraße Nr. 60 u 61 von Werner von Westhafen |
"Es ist meines Mannes und mein Wunsch, daß unsere Kinder die Häuser nicht verkaufen, sondern weiter behalten" Die Stadtmauer war längst gefallen, auf dem Köpenicker Feld standen Häuser, immer weiter dehnte sich die Stadt nach Süden aus, bis zu den Hügeln der Weinberge an der Hasenheide. Schon 1864 suchte man nach einem Namen für die breite Allee, die vom Südstern bis zum Großen Stern im Tierpark führen sollte. Eine »Neue Promenade« stand ebenso zur Diskussion wie die »Obergürtelstraße«, doch am Ende siegte ein Feldmarschall: Neidhardt von Gneisenau. Am 11. September 1888 wurde die Bebauung der Parzellen 60 und 61 genehmigt. Beide Grundstücke lagen auf der Nordseite der Gneisenaustraße, vom Balkon der Beletage sah man über die noch unbebaute andere Straßenseite hinweg auf den bewaldeten Höhenzug im Süden. Da immer mehr Menschen in die Stadt kamen und die Mieten stiegen, wurden Geschäfte gemacht. Es wurde gekauft und weiterverkauft. Auch die Grundstücke in der Gneisenaustraße gehörten Spekulanten. Im Grundbuch von der ‚Hasenheide und den Weinbergen‘ ist zunächst die Commanditgesellschaft Soenderup & Co eingetragen. Anders als jene, denen es bereits damals ums schnelle Geld ging -und die schon damals mit billigen Materialien und unqualifizierten Arbeitskräften eher Theaterkulissen als bewohnbare Häuser bauten - engagierten die Investoren an der Gneisenaustraße den Architekten Max Richter, der bereits die Sarotti-Höfe am Mehringdamm entworfen hatte, die heute zum Berggruen-Imperium gehören. Die Häuser in der Gneisenaustraße aber sind bis heute im Besitz der Familie Schröder, die es nach dem Konkurs von Soenderup & Co im Jahre 1901 für 600.000 Mark von der Bank erwarb. Der glückliche Käufer war der Seifenfabrikant Johannes Schröder, und der Grund für seine Investition war, glaubt man den alten Geschichten, seine geliebte Anna. Jahrelang hatte er um sie geworben, doch so schöne Briefe der Heringshändler auch schrieb: Sie wollte eine gute Partie machen. Also gab sie ihm sieben Jahre Zeit, um es zu etwas Ordentlichem zu bringen, und da Seife weniger schnell verdarb als Heringe, begann er mit einer kleinen Seifenproduktion. Wenige Jahre später besaß Johannes nicht nur dreißig Seifenläden mit hundert Angestellten, sondern auch das Herz der Angebeteten. Natürlich wollte die feine Anna in die große Paradestraße ziehen, in die Belle-Alliance, wo einmal im Jahr der Kaiser vorbeikam, doch Johannes entschied sich für die solide Bauweise des Architekten der Sarotti-Höfe. Es war die richtige Entscheidung. Mit dem Einzug der Familie Schröder in die gesamte Beletage der Nummer 60 mit insgesamt beinahe 300 Quadratmetern verschwanden allmählich auch die fliegenumkreisten Kühe aus dem Hinterhof, das von allerlei Gesindel besuchte Polizeirevier in der Nummer 61 und die von Trinkern umschwärmte Destille im Erdgeschoss der Nummer 60. Schon damals, gleich am Anfang des Jahrhunderts, wohnte im ersten Stock die Familie des Postkutschers Paul Sonnemann. Sein Sohn Richard, der ebenfalls bei der Post landete, übernahm 1963 nicht nur die Wohnung seines Vaters, sondern auch den kompletten Mietvertrag und zahlte für die 130 Quadratmeter große Wohnung 120,20 DM Miete. Als der Sohn 1990 auszog, hatte die Familie fast ein Jahrhundert lang in dem Haus gewohnt. An die Familie Krüger können sich auch die Enkelkinder des Seifenfabrikanten noch erinnern. Rosemarie Schröder war ein kleines Mädchen, als sie auf dem Balkon stand, und als die Krügers an einem Seil einen kleinen Korb mit Blumen und Süßigkeiten herunterließen – weil doch der Vater ein Vegetarier und strikt gegen Schokolade war. Davon, dass sich während des Krieges alle Hausbewohner um die große Kochmaschine der Familie Krüger versammelten, um gemeinsam zu kochen und auf diese Weise Brennholz zu sparen, haben die Bewohner im Haus noch lange erzählt. Das Radio aber, mit dem sie womöglich heimlich die Frontnachrichten und feindliche Sender abhörten, haben sie nie erwähnt. Es blieb während der 81 Jahre, die die Krügers im Hause wohnten, ein gut gehütetes Geheimnis. Erst als die Enkeltochter des Seifenfabrikanten eines Tages die Wohnung renoviert, entdeckten sie unter der Tapete neben dem Kachelofen einen Wandsafe. Darin befanden sich einige alte Porzellanfiguren und die lebenswichtige Röhre für einen alten Weltempfänger. Johannes Schröder Foto: Privatarchiv
Foto: Privatarchiv
Doch natürlich wurde auch in der Gneisenaustraße aus- und eingezogen. Die Liste der Geschäfte, die seit dem Ende der Destille dort residierten, ist lang. Allein in den Achtzigerjahren waren das Weingeschäft Vins d´Alsace dort ansässig, Kurz und Klein, der Plattenladen Son Latino, das Frisör Persephone, der Afro Markt. Heute heißen die Läden Kissinsky und Froschkönig. Rosemarie Schröder, die 1988 das Erbe der Schröders angetreten hat, bemüht sich, dem letzten Wunsch der Großmutter zu entsprechen, die in ihrem Testament schrieb: »Es ist mein Wunsch, daß unsere Kinder die Häuser nicht verkaufen, sondern weiter behalten, sie verwalten und pflegen.« Eine liebevolle Ausstellung erinnert derzeit im Erdgeschoss an die alten Zeiten. Nun soll zudem ein kleines Buch über die Geschichte des Hauses entstehen – zur Erinnerung an seine Gründer und Bewohner, und als Dank.• |