Juli 2012 - Ausgabe 139
Reportagen, Gespräche, Interviews
Kunst in Kreuzberg von Horst Unsold |
In Kreuzberg lebten Künstler, Trödler und Studenten. Die Trödler und Studenten sind weitergezogen, nur die Künstler blieben. Die Mauer war gefallen, Berlin sollte zur Metropole werden und wie ein Phönix aus der Asche des Zweiten Weltkriegs auferstehen, mit all dem Glanz der 20er Jahre, der Kultur, der Kunst, den Theatern. Sogar Kreuzberg, das verträumte Mauerblümchen, das am 3. Oktober unverhofft vom äußersten Rand der Bundesrepublik ins Zentrum der Stadt katapultiert wurde, sollte wieder auferstehen. Während in Mitte eiligst die Theater restauriert wurden, in der Oranienburger Straße und der Auguststraße Galeristen aus aller Welt einzogen und in Prenzlauer Berg die zu DDR-Zeiten geschlossenen Lokale wieder eröffnet wurden und auch dort die ersten Galeristen sich nach Immobilien umsahen, lag Kreuzberg noch im Dornröschenschlaf. Dort gedachte man noch immer der 60er und 70er Jahre mit ihren Kunstmärkten und Künstlern, allen voran Kurt Mühlenhaupt. Vier grauen Nachkriegsjahrzehnten hatte der Maler mit seinen lebensnahen Figuren seinen bunten Stempel aufgedrückt und eine kleine, verschworene Gesellschaft aus Literaten und Malern um sich versammelt, die Kreuzberg zum Künstlerviertel machte. Zwanzig Jahre lang war seine Hinterhof-Galerie in der Fidicinstraße das heimliche Zentrum der Kreuzberger Kunstszene. Doch auch die Stadtväter hatten die Künstler von Kreuzberg nicht ganz vergessen. Auf der Suche nach einem geeigneten Standort für die »Berlinische Galerie« verfielen sie auf die Schultheiss-Brauerei am Viktoriapark mit ihrem Großen Saal im Tivoligebäude – einem der größten Säle der Stadt überhaupt. Pläne wurden geschmiedet, Architekten beauftragt, die Bagger rollten an – doch dann kam die Pleite. Nun wird der große Saal der Schultheiss-Brauerei in Eigentumswohnungen zerlegt, und die Berlinische Galerie landete in einer menschenleeren Gegend und weit entfernt vom eigentlichen Geschehen. Aber immerhin noch auf Kreuzberger Boden, und gar nicht weit vom Jüdischen Museum mit seinen vielen Touristen. Es scheint, als erlebe das alte Künstlerviertel eine kleine Renaissance. Auch wenn von den alten Kreuzberger Galerien nicht viele geblieben sind. Die kleine Galerie von Tobias Schrade, der sich mit Werner Tammen lange um den Kunststandort Kreuzberg bemühte, gab schon nach wenigen Jahren wieder auf. Auch der »Malfleck« in den Räumen der Brauerei am Tempelhofer Berg ist schon seit Jahren nicht mehr da. Ganz zu schweigen von den einstigen Künstlertreffpunkten in Kneipengalerien wie der Weltlaterne oder dem Leierkasten, deren Wände immer voller Bilder hingen. Ein unverrückbares Urgestein ist die Galerie Sievi in der Gneisenaustraße, die seit vielen Jahren Künstler in die großen Räume einer Berliner Altbauwohnung einlädt. Auch die ehemalige Galerie Tammen & Busch, die gleich zweimal in der Nähe des Chamissoplatzes vertreten war und legendäre Künstler wie Gerhard Haderer nach Kreuzberg holte, als der Stern den Mann noch gar nicht kannte, ist noch in Kreuzberg. Doch schon 2005 zog Tammen vom kleinen Zentrum der Kunst am Chamissoplatz in die Nähe des Checkpoint Charlie, wo sich ein Galeristenviertel etabliert hatte. Inzwischen hat Tammen 175 helle Quadratmeter an einer Ecke zur Friedrichstraße bezogen. Werner Tammen ist der Vorsitzende des Landesverbands der Berliner Galeristen, deren Zahl trotz Krise weiter steigt. Allein zwischen Lindenstraße und Friedrichstraße haben sich inzwischen über 30 Galerien angesiedelt. »Zu Westberliner Zeiten hatten wir in der ganzen Stadt vielleicht 30 namhafte Galeristen. Als die Mauer fiel, waren das schlagartig 200. Inzwischen sind es 400«. Obwohl nicht jeder gleich aufgenommen wird in den Kreis der Erlesenen. Die Verbandsmitglieder müssen sechs Künstler im Jahr präsentieren, sie müssen geregelte Öffnungszeiten und eine langjährige Berufserfahrung vorweisen. Galeristen gibt es dennoch viele. Denn der Titel des Galeristen ist ungeschützt. Galeristen sind Individualisten, die allerdings eines gemein haben: Sie können reden. »Galeristen handeln mit einer Ware, die nur aus Behauptungen besteht!«, sagt Werner Tammen. Es ist der Galerist, der den rostigen Nagel auf dem Holzbrett zur Kunst erklärt. »Und die Behauptung, dass etwas Kunst ist, wird bestätigt, wenn der rote Punkt darunter klebt.« So ungeschützt wie der Beruf ist auch der Name »Galerie«. Und so sprießen immer mehr Galerien aus dem Kreuzberger Boden. In der Katzbachstraße haben sich gleich zwei niedergelassen, einer von ihnen neben dem Doktor mit dem großen Backenzahn im Schaufenster. Ganz wie schon den alternden Goethe scheint auch diesen Individualisten das »Ewig Weibliche« magisch anzuziehen. Seit er im November 2010 mit »Nackten Tatsachen« eröffnete und Beatrice Manowski in einer spektakulären Vernissage zeigte, »wie man seinen Körper der Kunst und der Demonstration zur Verfügung stellt«, gab es immer wieder Weibliches zu sehen im Schaufenster neben dem Zahnarzt -in Akryl, in Öl, auf Leinwand oder auf Holz. »Romantische Ironie 2012« heißt die aktuelle Ausstellung von Friedrich Heuss. Ein Stückchen weiter die schmucklose Katzbachstraße hinunter hat im Februar die Galerie Schmidtmarc eröffnet. Der Galerist stellt laut Programm »zeitgenössische Kunst« und »figurative Bildhauerei« aus. Anders als in der Puppenstube gleich nebenan, wo ein im ganzen Raum verbreitetes Chaos aus Stoffen, Modeln, Farben, Werkzeugen und den Gliedmaßen, Büsten und Torsi halbfertiger Puppen eine Atmosphäre intensiver Kreativität vermittelt, sind die Räume in der Katzbachstraße Nummer 14 reine Schauräume. Wie die kleinen, akkurat drapierten Portionen in vornehmen Sternerestaurants hat der Aktueller Künstler in der Galerie Tammen & Busch Foto: Postkarte
Auslage des Schornsteinfegers in der Katzbachstraße Foto: Dieter Peters
Doch nicht jedes kunstvolle Schaufenster gehört zu einer Galerie. Gleich neben dem Kunstverkäufer befindet sich das Büro eines Schornsteinfegers. Mit seinen Puppen im Schaufenster, den kleinen Schornsteinfegerfiguren und dem großen Blumenstrauß erinnert es eher an eine Galerie als an das Büro eines Bezirksschornsteinfegers. Es war die weiße Frau des schwarzen Mannes, die sich sagte: Wenn wir hier schon ein Büro mit Schaufenster haben, dann machen wir auch was damit. Und ließ die Kinder aus der Nachbarschaft das Schaufenster zu Ostern mit Eiern und im Dezember mit Weihnachtlichem ausstatten. Inzwischen ist so etwas wie ein Kunstwerk daraus geworden. Daneben ist das Atelier des »Figurentheaters« mit seinen wunderbaren Puppen im Schaufenster. Was auf den ersten Blick wie die Auslage eines venezianischen Souvenirverkäufers anmutet, entpuppt sich als Werkstatt eines wahren Künstlers. Er hat Komposition studiert, er textet, arrangiert, interpretiert und kostümiert. Aber auch er wäre womöglich gar nicht auf die Idee gekommen, seine Puppen derart auszustellen, wenn er nicht diese Ladenwohnung mit Schaufenster in der bis heute noch immer wenig attraktiven, dafür zum Teil noch bezahlbaren Katzbachstraße als Werkstatt hätte anmieten können. Doch in den Zeiten des Internets könnten die Guckkästen im Erdgeschoß bald zur Nebensache geraten. Die Galerie Johann König hat ihre 700 Quadratmeter große Ausstellungshalle in einem Hinterhof der ohnehin kaum frequentierten Dessauer Straße versteckt. Auch Berlin Art Projects aus der Auguststraße haben sich einen Showroom in einem Kreuzberger Hinterhof am Mehringdamm zugelegt. Die Galerie von Barbara Weiß in Nicolas Berggruens Lichtfabrik in der Kohlfurter Straße 41 ist ebenso leicht zu übersehen. » Es kommt immer wieder vor, dass jemand bei der Vernissage fehlt, weil er den Eingang nicht findet«. Trotz Internet, Navigator und Googlemaps. Die Kunsthändler des 21. Jahrhunderts kommen auch ohne auffällige Räumlichkeiten aus. Schon in den Sechzigern haben legendäre Lokale wie die Weltlaterne, der Zwiebelfisch oder Mühlenhaupts Leierkasten sich einen Namen als Treffpunkt der Boheme gemacht und mancher Galerie den Rang abgelaufen. Heute verwandeln sich nicht nur Cafés und Kneipen, sondern auch Lebensmittelgeschäfte, Wohnungen und Bankfoyers in Bildergalerien. In der Heimstraße zeigt im Schaufenster eines Bürstenbinders zwischen Spül- und Analbürsten ein Künstler wie Oskar Castillo seinen Zyklus »Intimes Liebesregal«. Die alteingesessenen Galeristen stört die Kunst in Hinterhof und Internet nicht. Auch im Kunstgeschäft sind die Kleinen keine Konkurrenz für die Großen. Im Gegenteil: Sie stärken das Image Berlins als Kulturhauptstadt. »Kunst und Kultur«, sagt Werner Tammen, »sind für die Imagepflege Berlins unersetzbar.« Denn eine Stadt ohne Kunst ist eine Wüste. Da zieht keiner mehr hin. • |