Juli 2012 - Ausgabe 139
Mein liebster Feind
Zwölfter Brief von Katja Neumann |
Lieber Herr Frings, ich habe Ihnen ja bislang in der Annahme schreiben dürfen, einen Mann im gesetzten Alter zum Brieffreund zu haben. Nicht einen Greis. Aber ich muss umdenken. Ihre These, die neuen Mütter würden nicht nur die Spielplätze, sondern zunehmend auch die öffentlichen Parkanlagen und Restaurantgärten als Auslaufzone für ihre lästige »Brut« betrachten, ist ja nicht ungewöhnlich. Aber die Vermutung, die neuen Alten können ihre Kinder zu Hause zur Ordnung aufrufen, in dem sie ihnen versprechen, sie dürften sich am Wochenende wieder im Tomasa austoben, kann nur einem greisenhaften und kranken Hirn entspringen. Sie müssen an Demenz erkrankt sein, wenn Sie tatsächlich vergessen haben, dass auch wir, wenn wir an der Seite unserer Eltern ausgehen mussten, - anstatt zu Hause Flipper oder Daktari zu gucken -stets von strengen Damenblicken und mürrischen Herrenstimmen dazu aufgefordert wurden, leise zu sein. Still zu sitzen. Die Tischdecken nicht zu verziehen. Einen Diener und einen Knicks zu machen. Dass unsere Eltern von uns verlangten, alten Männern, die nach Mottenkugeln rochen, alten Frauen voller Kölnisch Wasser, schleimigen Versicherungsvertretern mit einem falschen Lächeln und feuchten Händen unsere kleine Kinderhand zu reichen. Haben Sie wirklich vergessen, wie schlimm das war, wenn man sich immer und überall »benehmen« musste. Und dass wir uns geschworen hatten, nie so zu werden wie diese grauen Herren und diese nach Parfum stinkenden Omas. Diese Leute, die uns damals ständig zurechtgewiesen haben, waren etwa so alt, wie Sie es heute sind, lieber Herr Frings. Und sie haben sich über genau die gleichen Kinder und Manieren aufgeregt, über die Sie sich heute ägern. Damals wie heute haben die Alten ihre strafenden Blicke nicht nur auf die Kinder, sondern auch auf die verantwortlichen Erzieher der verzogenen Gören geworfen. Deshalb, lieber Herr Frings, komme ich zu dem Schluss: Ihre schwindende Toleranz, Ihr gesteigertes Ruhebedürfnis, Ihr griesgrämiges Misstrauen... – all das sind die untrüglichen Zeichen eines fortgeschrittenen Reifeprozesses, der – so traurig es ist - gewiss nicht aufzuhalten sein wird. Ich könnte noch Vieles anmerken, aber ich möchte meinem liebsten Feind nicht zu nahe treten. Nur einen gut gemeinten Rat habe ich noch: Wenn Sie sich das nächste Mal ins Tomasa verirren und unerzogenen Eltern begegnen, verlassen Sie einfach das Lokal. Gehen Sie stattdessen in den Park, wo nicht nur Kinderbesitzer, sondern auch Hundebesitzer ihre Aufzucht laufen lassen. Sie behandeln ihre Tölen ebenso rücksichtsvoll wie die Kinderbesitzer ihre Kinder, sind dabei aber viel kontaktfreudiger. Man hat sogar den Eindruck, sie halten sich diese Tiere nur, um ins Gespräch zu kommen. Auf jeden Fall lassen sie sich jederzeit auf spannende Diskussionen über den Charakter, die Gutmütigkeit und die Erziehung von Hasso, Tarzan & Co. ein. Ihre ewigtreue Katja Neumann |