Kreuzberger Chronik
Juli 2012 - Ausgabe 139

Herr D.

Der Herr D. und die Mode


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von Hans W. Korfmann

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oder

Warum der Herr D. immer noch kein Kreuzberger war

Zwei Jahre lang hatte der Herr D. das Auswärtige Amt nicht betreten. Doch er sah dem ersten Arbeitstag am alten Arbeitsplatz mit Gelassenheit entgegen. Er freute sich auf das dumme Gesicht des Chefs, wenn er dort auftauchen würde.

Nur die Garderobe machte ihm Sorgen. Er hatte stets in weißen Hemden im Büro gesessen. Nun war er Hausmeister, und Hausmeister liefen in karierten Holzfällerhemden herum. Ratlos stand er vor dem Schrank, bis er seinen alten Blaumann entdeckte. So fuhr er zum Werderschen Markt, eine Strecke, die er viele Jahre lang täglich gefahren war. Jetzt waren die Straßen kaum wiederzuerkennen.

Wenn sie das sehen könnten, dachte der Herr D., während er durch die Straßen fuhr, in denen lauter schwarze Autos standen. So viele Anzugträger wie hier, so viele Frauen mit gleichen Gesichtern, Parfums, Frisuren gab es sonst nur im Film. Wenn sie das sehen könnten, diese letzten Latzhosenträgerinnen, die sich über harmlose junge Leute aufregten, nur weil sie mit Rollkoffern zur Modemesse kamen und in Nylons in den Cafés der Bergmannstraße Obstsäfte statt Bier tranken.

Doch die Kreuzberger sahen das anders. Als er heimkam, saßen sie vor ihrem letzten verbliebenen Stammcafé und beobachteten beim Bier die vorbeiziehenden Fremden. »Wie die Schafe. Alle gleich: Turnschuhe, kurze Hosen, T-Shirt. Ich komme mir vor wie auf Malle...« -»Und alle die gleichen Strohhüte mit schwarzen Bändern. Kein grünes, kein blaues, kein rosafarbenes Band, nein, schwarz muss es sein. Wenn du ein rotes Band um deinen Hut wickelst, bist du out.« - »Leggings und Strumpfhosen. Hättest du dir vor zwanzig Jahren vorstellen können, dass in Kreuzberg mal so viele Strumpfhosen herumlaufen? In Berlin konnte sich eine Frau doch nur in Jeans und Latzhose auf die Straße trauen. Da gabs keine Alternative.«

Schon sahen alle den Herrn D. an, der im Blaumann am Nebentisch saß. Gerade wollten sie ihn um seine Meinung bitten und in ihre Runde der Altkreuzberger aufnehmen, da drehte sich so ein Tourist am anderen Nebentisch um: » Und das findet ihr jetzt gut? Ich dachte, ihr wärt so alternativ und tolerant.«

»Wir sind weltoffen: Uganda, Türkei, Mexiko, Irland, Vietnam, Baskenmützen, Turbane, lange Bärte... - alles kein Problem. Aber bei Köln oder Stuttgart ist unsere Toleranzgrenze. Köln und Stuttgart sind nicht die Welt. Das ist Provinz.«

»Ihr hättet die Mauer um ganz Berlin ziehen sollen!«

»Jetzt werd mal nicht frech, Kleiner....«

Der Herr D. belauschte das Geplänkel eine Weile, dann beugte er sich kurz zum Nebentisch und sagte: »So können Kriege beginnen.«

»Ich dachte, der gehört zu uns!«, sagte einer der Altkreuzberger und verzog die Lippen. Das betrübte den Herrn D., der eigentlich immer geglaubt hatte, längst ein alter Kreuzberger zu sein. •


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