Juli 2012 - Ausgabe 139
Geschäfte
Der Puppenladen von Hans W. Korfmann |
Es gibt Handwerker, die nennen sich Künstler. Und es gibt wirkliche Künstler. Eigentlich ist das kein Geschäft. Jedenfalls keines, in dem jemand Milch oder Wurst oder Kunst verkauft. Aber ein Schaufenster hat Georg Jenisch auch. Allerdings nutzt er das eher zum »Hinausschauen. Ich habe bislang im Hinterhof in der Kreuzbergstraße gearbeitet, das war ein bisschen einsam. Hier sehe ich die Leute vorbeigehen, gegenüber den Park... wunderbar.« Und manchmal kommt jemand herein und sagt, er wolle diese Marionette kaufen, die da steht. Doch in der Regel sind die Masken, Puppen und Marionetten, die die Werkstatt des Puppenbauers bevölkern, Auftragsarbeiten. Sie gehören zu einem Ensemble, das demnächst auf irgendeiner der großen Puppenspielbühnen in Wien oder München auftreten wird. Sie werden schon bald die gute Stube des Puppenbauers verlassen und in die Welt hinausgehen– ganz egal, wie gut sie miteinander ausgekommen sind, wie oft Jenisch mit ihnen gespielt hat – wenn er, nach Feierabend, seine kleinen Freunde beim Spielkreuz nimmt und mit ihnen zu reden beginnt. »Die gehören schon lange, bevor sie den ersten Schritt machen, einem andern!« Es kommt aber vor, dass in der guten Puppenstube eine Figur sitzt oder liegt, die Jenisch für eines seiner eigenen Stücke gebaut hat. Denn Jenisch baut nicht nur, er spielt auch. »Man kann keine Puppen bauen, wenn man nicht selbst spielt. Deshalb trenn ich mich von meinen Figuren natürlich nur sehr ungern. Aber wenn ich gerade mal wieder Geld brauche...«, und wenn da tatsächlich jemand steht und seine Puppe ganz verliebt anschaut, wenn der Puppenbauer dann das Gefühl hat, dass es seinem Pappmascheekind gut gehen wird im neuen Zuhause, dann, »auch wenn einem das Herz blutet« dabei... Es ist eine innige Beziehung zwischen Jenisch und seinen Puppen. Er schreibt Stücke für sie, komponiert Musik für sie, geht auf Tournee mit ihnen. Er lässt seine hölzernen Interpreten in weltberühmten Opern auftreten, betritt mit ihnen die Bühnen des Deutschen Foto: Dieter Peters
Jenisch arbeitet aus Leidenschaft, aus Überzeugung. »Jede Puppe ist ein Experiment. Sie haben alle dasselbe Kreuz, hängen an denselben Fäden, arbeiten nach dem gleichen Mechanismus -und doch bewegt sich jede von ihnen anders, jede hat ihren Charakter!« Ganz so wie die Menschen auch. Und wie Romanfiguren eines Schriftstellers, wie Gesichter eines Malers, entwickeln sie allmählich ein Eigenleben. Wenn eine Puppe läuft, dann hebt der Spieler das Knie, aber das Bein schwingt von alleine. Es ist die Puppe selbst, die den Fuß auf die Bühne setzt. »Man reißt die Bewegung nur an, gibt der Figur einen Anstoß – und dann kommt der magische Moment, wo sie plötzlich alleine weitermacht. Wo man daneben steht und zuschaut, was sie jetzt macht. Das ist das Faszinierende. Wir hauchen einem toten Material Leben ein.« Manchmal sind seine Figuren so lebensnah, dass Kinder Angst bekommen. Und eine Praktikantin, die mit auf Tournee war, weigerte sich, in einem Zimmer mit so vielen Puppen zu schlafen. Auch Jenisch selbst hat Respekt vor den Figuren. Er erinnert sich, wie er Tschaikowskys Nussknacker baute, eine komplizierte Figur, die von fünf Spielern gleichzeitig bewegt werden musste. Er hatte sie viele Stunden in den Händen gehabt, er kannte sie vom ersten Moment an und war oft mit ihr durch die Werkstatt gegangen. Aber als er sie auf der Bühne sah, war er überwältigt. So hatte er sie noch nie gesehen. Auch die große Iokaste aus dem Oedipus Rex hatte ihm wochenlang Gesellschaft geleistet, er kannte jede ihrer Bewegungen. Aber als sie am Tag ihres großen Auftrittes da stand und ihm plötzlich ganz langsam den Kopf zuwandte und genau in die Augen sah... – »Einfach Wahnsinn!« Foto: Dieter Peters
Foto: Dieter Peters
Mit der Augsburger Puppenkiste hat das, was Jenisch macht, nichts zu tun. »Seit Jim Knopf glauben alle, Marionettentheater sei etwas für Kinder.« Aber das Puppenspiel ist eine uralte Form des Theaters, voller Komödien und Tragödien. Und es ist diese alte Form, die Jenisch wieder aufgreift. Er zieht die Fäden seiner Figuren, um Shakespeares Edward III. oder ein Stück über Händel auf die Bühne zu bringen. Demnächst wird die Premiere von Carl Orffs Carmina Burana in München stattfinden. Damit hat er bereits Orffs gesamte Trilogie aufgeführt. Und dann wird er sich Gustav Mahler und dessen Verhältnis zum Tod zuwenden. »Düster ist das Leben«, wird eine Stimme aus dem Off sagen – und noch einmal daran erinnern, dass das Puppenspiel ein richtiges Theater ist.• |