Februar 2012 - Ausgabe 134
Mein liebster Feind
Siebter Brief von Kajo Frings |
Sehr geehrte Frau Neumann, ich bin immer wieder froh, dass Sie den von mir geäußerten spontanen Unmut in die Bahnen der Vernunft zurücklenken. Mittlerweile erheben ja sogar in der Tagespresse die Radfahrer das Wort gegen die Rowdies unter ihresgleichen. Aber mir liegt längst ein neuer Stein des Anstoßes auf dem Herzen: Meine Haus-Apothekerin hatte kürzlich das ganze Schaufenster voll mit Werbung für »Bach-Blüten«. Da gab’s dann Rescue-Tropfen oder first aid remedy mit der Werbung: »Das Mittel hilft und gibt einem innere Erleichterung in gefährlichen Situationen oder Krisen wie z.B. bei: Unfällen, Verletzungen, Ohnmacht, Asthma-Anfällen, Verbrennungen, vor oder nach einer Operation, Panikzuständen, psychischen Ausnahmezuständen, sogar bei Schlaganfällen und Herzinfarkten usw. Es hilft auch bei Erlebnissen, die einen völlig aus dem Gleichgewicht bringen, wie z.B. nach Streit, Schocks, Unglücksnachrichten, Panik – oder Stresszuständen, vor wichtigen Prüfungen usw.« Und das alles bewirkt ein Spray in einer 30 ml »stockbottle« für 14.95 Euro. Höchstens im Kleinstgedruckten wird erwähnt, dass es sich rechtlich nicht um Arzneimittel, sondern um Kosmetika handelt. Ja, Frau Neumann, natürlich ist das legal. Und natürlich hat jeder das Recht, sich Antifaltencremes oder Haarwuchsmittel zu kaufen, die nicht helfen. Auch Sie, liebe Frau Neumann. Aber ein Apotheker ist doch kein Drogist. Dem muss man doch vertrauen können! Bei uns in Kreuzberg, da wohnten doch einmal gebildete, studierte Menschen. Die sind doch auf so eine billige Werbung nicht hereingefallen. Jetzt ist die ganze Bergmannstraße voller Gauner und Betrüger. Nehmen wir doch mal das Fläschchen »AGUA DE LA JUSTICIA«, das ich vor Jahren auf einem Markt in Peru kaufte. Sein Inhalt ist eine stinkende Flüssigkeit mit großer Wirkung: »para los tratos injustos de Juicios y papeleos« , also gegen ungerechte Behandlung bei Gerichtsprozessen und Papierkriegen. Das Ganze trägt den Zusatz: »Producto garantizado«. Würde sich ein Rechtsanwalt ein Beispiel an der Apotheke nehmen, würde er das Handgelenk seines Mandanten mit »Agua de la justicia« einreiben und sich fürstlich honorieren lassen, auch wenn das Urteil ohne besagtes Wässerchen genauso gelautet hätte. Was mich ärgert, meine liebe Frau Neumann, ist die Tatsache, dass die Apotheke 14,95 Euro für ein Präparat verlangen darf, das vollkommen wirkungslos ist. »Es gibt ja auch andere Medikamente, die wir verkaufen, und die bei dem einen wirken und bei dem anderen nicht!«, rechtfertigte sich kürzlich eine Apothekerin. Ich weiß, Frau Neumann, Sie haben ja immer für alle und alles Verständnis. Nur für mich nicht. Sie können mir trotzdem wieder schreiben, dass ich mich wegen derlei Kleinigkeiten nicht immer so aufregen soll. Wegen des Herzinfarkts. Und ich habe nicht einmal Rescue Tropfen zuhause! Ihr Kajo Frings |