Februar 2012 - Ausgabe 134
Herr D.
Der Herr D. und der Schriftsteller von Hans W. Korfmann |
Der Herr D. hatte nichts gegen Fremde. Er hatte sich immer gefreut über die vielen Sprachen. Allerdings waren die, die jetzt kamen, keine Leute mehr, die Wohnungen mieteten, sondern Leute, die Wohnungen kauften. Sie waren auch keine Krankenschwestern, Hausmeister oder Büroangestellte, sondern Künstler aus Montreal, Schauspielerinnen aus Frankreich, Journalisten aus Madrid. Lauter Leute, die nicht viel mit ihren Nachbarn sprachen. Im 3. Stock wohnte jetzt – so mauschelten die letzten Mieter – ein österreichischer Schriftsteller, der Berlin-Romane schrieb. Als der Herr D. eines Tages den neuen Nachbarn im Fahrstuhl traf, und als der Neue wieder kein Wort des Grußes fand, da reichte es dem Herrn D: Er wünschte ihm einen »Guten Morgen!« -Der Schriftsteller nickte und glaubte, die Sache damit erledigt zu haben. Aber der Herr D. ließ nicht locker: »Wie gehts denn so?« »Ach, naja...« brummte der Schriftsteller. Der Herr D. bemühte sich, den echten Kreuzberger heraushängen zu lassen. »Ich hab ja auch schon mit einer Arschbacke auf der Straße gesessen. Jetzt haben sie mich wieder eingestellt.« Der Schriftsteller kletterte augenblicklich von seinem Elfenbeinsockel und sagte: »Naja - als Schriftsteller stehst du immer mit einem Bein im Grab. Das stört mich nicht. Aber, wenn du bei der Zeitung anrufst, für die du öfter mal was schreibst und wo du alle kennst, wenn du da anrufst und fragst, warum sie nichts über dein neues Buch machen, und wenn die dann anfangen, herumzustottern.... naja, also... wissen Sie ... weil..... « »Sie meinen den Tagesspiegel?«, fragte der Herr D. »Stimmt! Wie kommen Sie darauf?« »Ich kenne jemanden bei dieser Firma. Keiner an den Schalthebeln der Macht, nur ein kleines Rädchen im Betrieb. Aber es spricht sich eben auch bis zu den kleinsten Rädchen herum, wenn am großen Rad gedreht wird. Selbst die Drucker wissen, warum es die Seite mit Berlin-Büchern nicht mehr gibt: Nicht, weil sie keine Leser gefunden hätte. Im Gegenteil, die Seite war beliebt bei den Berliner Lesern. Der Grund war, dass der Verlag seine eigenen Bücher verkaufen will. Und es könnte passieren, dass der eine oder andere Leser auf die Idee käme, Ihr Buch zu kaufen. Statt eines Buches, bei dem der Tagesspiegel mitverdient. Also verschweigt man ihr Buch!« »Das ist Zensur!«, rief der Schriftsteller. »Sie sagen es«, sagte der Herr D. »Es geht nur noch ums Geld«, sagte der Schriftsteller. »Sie sagen es«, sagte der Herr D. »Ich habe immer an Bücher geglaubt. Ich haber nie ans Geld gedacht, wenn ich schrieb«, sagte der Schriftsteller. »Sie sind zu altmodisch für das Geschäft.«, sagte der Herr D. »Literatur ist zeitlos«, sagte der Schriftsteller. »Aber die Verlage sind es nicht. Und Sie sind es auch nicht.«, sagte der Herr D. Der Schriftsteller nahm die goldene Brille von der Nase und sah sich seinen neuen Nachbarn einmal etwas genauer an. »Was machen Sie eigentlich beruflich?«, fragte er. »Sind Sie Schriftsteller?« »Ich bin Hausmeister!«, sagte der Herr D. »Aber machen Sie sich nichts draus: Als ich nach Berlin kam, war ich auch erstaunt, was die einfachen Leute hier alles wissen...« • |