Februar 2012 - Ausgabe 134
Geschäfte
Der Marmeladenladen von Hans W. Korfmann |
Die Einrichtung von Bols & Hansen ist ebenso modern wie altmodisch. Ein kariertes Deckchen im Schaufenster, eine karierte Decke auf dem einzigen Tisch in der Mitte des Ladens, einige Marmeladengläser, getrocknete Blumen, eine cremefarbene Anrichte, himbeerfarbene Wände – das alles sieht aus wie eine große Küche in einem hundertjährigen, mit Reet gedeckten Haus in Flandern. Das violettfarbene Logo, der jugendlich schwungvolle Schriftzug, die minimalistischen Einrichtung aber sind modern. Der Marmeladenladen von Bols & Hansen würde auch in das ehemalige Postgebäude am Marheinekeplatz passen. Er könnte sich mühelos einreihen zwischen dem neuen Edelspielzeug-Geschäft, der so viel Platz bietet, dass rasante Väter mit dem neuen Kinderwagen Proberunden fahren können, und dem Yogurtladen, in dem sich keine Regale mit Yoghurtschalen, Milchkannen und Käseleibern biegen. Die neuen Kreuzberger Geschäftsinhaber scheinen gern zu demonstrieren, dass es ihnen auf ein oder zwei Quadratmeter nicht ankommt. Sie verkaufen auch kein Joghurt von eigenen Kühen oder Schafen, und die Spielwarenverkäufer leben nicht vom Spielzeugschnitzen. Sie leben von Geschäftsideen. Von der Gestaltung ihrer Schaufenster. Von Werbung, Trend, Blendung. Auch im Laden von Bols & Hansen ist reichlich Platz. Obwohl er gar nicht im auffälligen Szenekiez, sondern im unauffälligen Outback der Obentrautstraße liegt. Da heißen die Kneipen noch Zum Goldenen Handwerk oder Zum Gerücht. Auch das Haus der Marmeladenverkäuferinnen ist ein unscheinbares Haus, eines von jenen, die man nach dem Krieg mit herumliegenden Klinkern schnell wieder aufgebaut hat, und die erst in jüngerer Zeit einen hellrosa Anstrich bekamen. In der Obentrautstraße hängt neben dem Schaufenster von Bols & Hansen ein halber Kaugummiautomat, und das Fahrrad, das daneben lehnt, erweckt den Eindruck, als stünden die Räder seit Jahren still. Dafür ist die Miete in der alten Bäckerei auch erheblich güns-tiger als in dem Nobelkaufhaus, das man in der alten Postfiliale eingerichtet hat. »Tritt ein, bring Glück herein«, steht auf einem schüchtern kleinen, hölzernen Schild. Das Glück sei den Marmeladenköchinnen gegönnt, denn Lillevi und Gabriele sehen in etwa so aus wie alles in diesem kleinen Laden: süß. Sie harmonieren perfekt mit dem Interieur ihrer Marmeladenküche: die apfelbäckige Frau mit ihren langen, strohblonden Zöpfen und dem karierten Kopftuch, die auch noch Hansen heißt - Lillevi Hansen aus Elmshorn bei Flensburg, jenem Ort gleich hinter der Ostsee, über die der Vater sich einst aus Norwegen kam. Und daneben die dunkle Gabriele von der Halbinsel Husum, deren Name aber weniger nach dem salzigen Norden als nach Fußball klingt: Kutzborski! Weshalb die alten Freundinnen ein bisschen schummelten und sich für Gabrieles Mädchennamen entschieden. Und Bols & Hansen, das klingt so edel und harmonisch, wie ihre Marmeladen schmecken. Denn ganz anders als die neuen Ladenbesitzer vom Marheinekeplatz, die nur einkaufen und verkaufen, ist bei Bols & Hansen tatsächlich alles noch echt und selbstgemacht. Bis auf die Marmeladengläser. Und die Zutaten. Aber die sind trotzdem nicht schlechter, als kämen aus dem Garten der alten Freundinnen. Die nämlich sind ausgesprochen wählerisch. Es gibt Tonnen von Erdbeeren im Sommer, zu den unterschiedlichsten Preisen, aber die Damen kaufen ihre Erdbeeren ausschließlich in der Uckermark, von Höfen, die sie genau inspiziert haben. Erdbeermarmelade ist der Klassiker, wenn die Erdbeermarmelade nicht überzeugt, kann man seinen Marmeladenladen schlicht vergessen. »In der Erdbeerzeit stehen wir dann also von morgens um acht bis abends um acht in der Küche und kochen Erdbeeren, tagelang, bis es keine Erdbeeren mehr gibt.« Und es klappt. Im Februar war alles schon wieder ausverkauft. »Erdbeerhibiskus mit Zitronenmelisse, das ist einer unserer Renner...« Im Winter, wenn es nur noch Äpfel und Birnen gibt, dann kochen Lillevi und Gabriele eben Äpfel mit Honigmarzipan und Orangenfilets, die Lillevi vorher feinsäuberlich aus den Orangen herausgeschnitten hat. »Das ist richtig Arbeit«. Aber das macht nichts. Die Freundinnen aus der Obentrautstraße kochen schließlich mit Leidenschaft. Früchte aus der Tiefkühltruhe oder Gewächshäusern in Spanien sind tabu. Und Foto: Silke Mayer
Doch die Marmeladenköchinnen in der Obentrautstraße sind eigentlich schon Marmeladenköniginnen. Die fruchtigen Brotaufstriche von Bols & Hansen sind längst so etwas wie Markenprodukte. Obwohl die Marmeladenmanufaktur gerade mal ein Jahr alt ist. In der Straße hat sich der Name längst herumgesprochen, immer öfter kommen die traditionellen Kreuzberger Spätaufsteher gegen Mittag in der Obentrautstraße vorbei, um ihr Frühstück zu komplettieren. Es kann nicht mehr lange dauern, dann werden die Marmeladen »made in Kreuzberg« auch am Husumer Wattenmeer und vielleicht sogar im fernen Norwegen in den Delikatessengeschäften stehen. • |