Kreuzberger Chronik
Dez. 2012/ 2013 - Ausgabe 143

Strassen, Häuser, Höfe

Die Dudenstraße Nr. 10


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von Werner von Westhafen

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Mit der schlichten Gestaltung wurde die Ära der »Neuen Sachlichkeit« eingeläutet. Doch die Schlichtheit kostete Milionen!


Als 1848 in Mainz die erste deutsche Buchdruckerversammlung tagte und der National-Buchdrucker-Verein ins Leben gerufen wurde, ging es den versammelten Arbeitern darum, einen gerechten Lohn für ihre Arbeit auszuhandeln. Noch heute gibt die IG-Medien vor, sich für die Rechte der Drucker und Setzer einzusetzen. Doch spätestens, seit sich der Nachfolgeverband der Deutschen Buchdrucker zum Kauf einer eigenen Immobilie entschloss, war es mit der Arbeiterromantik vorbei.

Mit dem Argument, man brauche, um einen »graphischen Industrieverband zu schaffen«, ein eigenes Haus, »in dem man zusammenfinden« könne, versuchten die Bonzen, ihre Mitglieder von der Notwendigkeit der Investition zu überzeugen. Dahinter standen jedoch jene rein spekulativen und kapitalistischen Interessen, gegen die die Gewerkschaft bislang so vehement angekämpft hatte. Im September 1924 erklärte der Vorsitzende, dass allein der Kauf der SPD-Druckerei in Leipzig und des Bürohauses in Kreuzberg die Gewerkschaft vor dem finanziellen Untergang gerettet hätte. Durch die Inflation war die »Papiermark« in den Kassen der Gewerkschaft ein »Kapital«, das »in kürzester Zeit nichts mehr wert gewesen« wäre.
Und um auch in Zukunft nicht zu verarmen, beschloss die Gewerkschaft, ein eigenes Gewerkschaftshaus in Berlin zu errichten. Gekauft wurde ein Grundstück in der damaligen Dreibundstraße, der heutigen Dudenstraße.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die streitfähigen Drucker mit kleinen und kostengünstigen Mietwohnungen im Chamissokiez begnügt. Bis 1894 waren die Büros in der dritten Etage der Solmsstraße Nr. 31, später in der dritten Etage am Chamissoplatz Nr. 5. Als letzteres zum Verkauf ausgeschrieben wurde, entschloss sich der Verband, zu investieren - um sicher zu sein, dass man die Gewerkschaft »nicht auf die Straße setzt.« Für 246.000 Mark wechselte die Immobilie am 29. Juni 1921 den Eigentümer, erst 1982 wurde sie weiterverkauft.

Drei Jahre später kaufte die Gesellschaft das Grundstück an der ehemaligen »Straße Nummer 6, Abt. III« für abermals 277.500 Mark. In einer Rede hieß es, dass die Immobilie noch »an Wert gewonnen« habe, da nun auch die »Untergrundbahn bis dorthin geführt« werde. Heute liegt der Wert des Grundstückes an der damaligen Dreibundstraße mit dem inzwischen unter Denkmalschutz stehenden Gebäude längst im achtstelligen Bereich. Finanziert wurde das Geschäft mit den Beiträgen der Mitglieder, die fast zwei Jahre lang wöchentlich 20 Pfennige mehr zu bezahlen hatten. Ein Betrag, der damals zu heftigen Kontroversen führte.
Dass der Verband der Buchdrucker einen so namhaften Architekten wie Max Taut beauftragte, der bei dem Bau nicht sparte, begründete der Vorstand damit, dass längerfristig betrachtet teures Material die beste Investition sei. Schon 1924 wurde mit den Arbeiten begonnen, die Kosten aber stiegen von den veranschlagten 800.000 Reichsmark auf 3 Millionen, wovon die Hälfte aus den Taschen der Mitglieder gekommen war.

Den Stararchitekten und seinen Bauleiter Franz Hoffmann interessierte es wenig, woher das viele Geld kam. Als nach zwei Jahren Bauzeit das »Verbandshaus der Deutschen Buchdrucker« mit seinem großen Saal im 5. Stock und dem »Sonnendach« mit den Liegestühlen, den 18 großen Wohnungen im Vorderhau und den hellen Maschinenräumen für die Drucker im Haupttrakt fertiggestellt war, zeigte sich die Presse landauf, landab begeistert. Man schrieb von der angebrochenen Ära der »Neuen Sachlichkeit«. Die Berliner Volkszeitung sprach von einer »Kulturtat«, die renommierte Weltbühne lobte die »von allen Formeln, Motiven und Interessantheiten absehende Gesinnung« und einen »urgesunden Organismus«, und die Vossesche Zeitung schwärmte, dass alles »auf den schlichten Ausdruck des Zwecks« ausgerichtet sei, und feierte den Verzicht auf die wilhelminischen »Klunkerfassaden«.

Das beherrschende Formelement sind die rechten Winkel und der Verzicht auf jede Art von Schnörkel. Alles an diesem Haus ist rechteckig, wenn nicht quadratisch. Die Gullideckel, das Schachbrettmuster der Fliesen im Flur, selbst die großen, rechteckigen Fenster der Loggien im Vorderhaus mit den großen Wohnungen hat Taut nochmals in kleine Quadrate unterteilt. Das Taut-Haus in der Dudenstraße ist eine Ode an die Strenge der Symmetrie, eine Hymne an die Klarheit der geraden Linien. Lediglich das Treppenhaus mit dem Fahrstuhl im Seitenflügel scheint in seiner Verspieltheit aus Messing, Glas und schwarzem Granit etwas vom Prinzip der strengen Linienführung abzuweichen. Das Messinggeländer des Handlaufes an der Treppe schwingt sich wie ein Blütenstängel in die Höhe, und die Messingknäufe an der zweiflügeligen, ganz gläsernen Fahrstuhltür sind tatsächlich rund, nicht etwa viereckig.

Jahre lang ratterten die schweren Maschinen im Haus der Drucker, wohnten Menschen friedlich im Vorderhaus, sang der 1879 gegründete Typographia-Chor mit seinen 200 Sängerinnen und Sängern in der Aula unter dem Dach. Dann brachen die Nazis, später die Russen in das Haus ein. Stille kehrte ein. Nur allmählich begannen die Maschinen wieder zu rattern und druckten das »Montagsecho«, das »Fleischerblatt« oder das »Petrosblatt«. In einem Traditionshaus, in dem die Büchergilde Gutenberg einst Jack London und B. Traven druckte. Heute ist das Verdi-Haus in der Dudenstraße ein Bürohaus, die »Immobilienverwaltungsgesellschaft der ver.di mbH« begnügt sich damit, die Räume der Immobilie zu vermieten. •

Foto: Dieter Peters
Foto: Dieter Peters

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