Dez. 2012/ 2013 - Ausgabe 143
Herr D.
Der Herr D. und der Weihnachtsbaum von Hans W. Korfmann |
Der Herr D. hatte schlechte Laune. Wie immer zu Weihnachten. Er lief durch den sauren Regen die dunkle Katzbachstraße hinauf, da sah er einen Baum auf dem Gehsteig liegen. Einen grünen, erst vor kurzem gefällten Tannenbaum. Er war vom Balkon geworfen worden. Man schrieb den 25. Dezember. »Ist das nicht traurig?« Der Herr D. erkannte in dem großen Mann, der ihn ansprach, den Pfarrer, der gestern beim Krippenspiel den Stern getragen hatte. Der Mann war ihm auf den ersten Blick unsympathisch gewesen. Aber es war Weihnachten, und deshalb antwortete der Herr D: »Ja, so sind die, die jetzt nach Berlin kommen. Kaum haben sie ihre Pakete aufgerissen und sich die Goldringe an die Finger gesteckt, wird der Baum wieder aus dem Fenster geworfen.« »Glauben Sie, dass die Menschheit schon so verkommen ist?« »Das ist nicht die Menschheit, die jetzt nach Berlin zieht und sich Häuser, Seen, Markthallen, Anlegestellen, Flughafenwiesen und Parkgrundstücke kauft. Das ist nur ein kleiner Teil, lieber Herr Pfarrer, die meisten können sich so einen Baum gar nicht mehr leisten. Das sind nur ein paar Wenige, die Verstoßenen sozusagen, wenn ich mal mit Ihren Worten sprechen darf.« Der Pastor warf die Stirn in Falten und sah sich den Herrn D. genauer an. »Sie hab ich doch schon mal gesehen...«, murmelte er. »Ich wohne schon eine Weile hier!«, sagte der Herr D. »Aber jetzt muss ich gehen. Packen. Unser Haus wurde gerade verkauft. Wir müssen zum Ersten raus. Gottes Schuld ist es nicht. Er kommt da einfach nicht mehr nach. So viel Schlechtigkeit gabs noch nie auf der Welt. Da müsste sich Gott schon mit Buddha und Allah zusammentun, und Marx sollten sie auch noch mit ins Boot holen...« »Woher kenne ich Sie nur, ich hab Sie doch kürzlich gesehen...« Dem Herrn D. wurde ungemütlich, und deshalb redete er einfach immer weiter: »Aber selbst die christlich-muslimisch-buddhistisch-marxistische Union würde mit diesen Brüdern nicht fertig. Sie glauben ja nicht, was diese Immobilienhändler für Schweine sind. Und der Wowereit steht daneben mit seinem blöden Teddybärgrinsen und schaut zu, wie die Menschen, die ihn mal gewählt haben, auf der Straße landen. All diese netten Berliner, die ihre Christbäume im Blumentopf haben und sie den ganzen Sommer über gießen, um sie am 24. wieder für ein paar Tage in die Wohnung zu holen!« Doch es half nichts, plötzlich lichteten sich die tiefen Falten auf der Stirn des Pastors. Der Herr D. wollte weiter, aber der Pastor legte ihm die Hand auf die Schulter: »Sie waren doch gestern in der Predigt, Sie haben mir doch den Stern entrissen! Warum haben Sie das getan?« -»Weil er uns nicht mehr den Weg leuchtet, Ihr Stern, weil ich am kommenden Freitag auf der Straße stehe, deshalb, Herr Pfarrer...« Und dann war der Herr D. auch schon in der Dunkelheit verschwunden. • |