Kreuzberger Chronik
Oktober 2011 - Ausgabe 131

Essen, Trinken, Rauchen

Sas im Fuchsbau


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von Saskia Vogel

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Während die Studenten ihr Leben verplanen, träumt Sas

Nach dem Regenguss sitzen die Füchse vor dem Bau. Die Füchse sind Studenten, und der Bau ist eine dieser Milchkaffeestationen am Eingang zum Graefekiez. Simple Holzeinrichtung, abgeschabte Getränkekarte, Toiletten unrenoviert, unprätentiös. Eine staubige Fuchstrophäe irgendwo im Holzregal und einige trotz des Regens angetrocknete Blümchen auf den Tischen, das ist der Sommer 2011.

Sas hat sich vor dem Regen in den Fuchsbau geflüchtet. Sie ist durchnässt bis auf die Haut, ihr moos-grüner Baumwollpullover ist ein moos-feuchter Lappen. Die Frisur ruiniert. Nur ihre Sommerlaune hat der Regen nicht weggeschwemmt. Denn die war nie vorhanden. Die Frisur übrigens auch nicht.

Alle Füchse sitzen draußen vor dem Bau. Trinken Schorle unter einem großen Sonnen-, nun unter einem großen Regensegel, von dem noch immer das Wasser tropft. Lauter Studierende. Lauter WG-Bewohner und Lebenspläne-Haber. Fröhlich, unbeschwert und frei. Nur Sas sitzt drinnen. Allein im düsteren Bau. Einen Kaffee hat sie auch nicht. Bis jetzt. Der Kellner kommt. Was sie denn trinken wolle? Einen Kaffee, was denn sonst? Immer muss sie arbeiten. Immer muss sie wach sein. Immer muss sie da sein, damit diejenigen, die was von ihr wollen, auch ihren Willen kriegen. Sas kommt sich manchmal vor wie eine Dienstleistungsgesellschaft auf Aktien. Mit Wertpapieren, deren Kurs auf unter 20 Cent dotiert ist. Und an denen sich trotzdem alle bereichern. Nur für sie, für Sas bleibt die Rendite mickerig klein. Und erübrigt sich in Müdigkeit.

Der Kellner bringt den Kaffee. Der Kellner ist kein Student, er ist älter, schwarzer Rollkragenpullover, dunkle Haare, das Leben womöglich schwer. Schweigsam. Stellt die Tasse ab, das Glas. Dann stellt er sich selbst im Eingang vom Fuchsbau ab, den Rücken zu Sas. Raucht eine Zigarette. Er hat ein kleines Symbol in die Milch geschäumt, das aussieht wie ein Zweig von einem Bau. Ein schöner Mann, wie er da entspannt im Türrahmen lehnt, groß, und Sas jederzeit zu Diensten. Er ist der Hüter vom Fuchsbau. Und jetzt ist er der Hüter von Sas. Solange sie hier sitzen bleibt, wird er auf sie aufpassen.

Chris Martin schlägt melancholische Töne an. Der Nachmittag geht zu Ende. Wenn Sas jetzt nur eine Minute die Augen zumachen würde, nur einen Augenblick den Kopf auf der abgeschabten Tischplatte ablegen würde, dann wäre es Herbst. Die Zeit zerrinnt. Der Hüter des Fuchsbaus hat seine Zigarette aufgeraucht, das Bild von einem Manne dreht sich um. Ob er ihr noch etwas bringen dürfte. Ja bitte, denkt Sas, ein bisschen Wärme. »Nein danke«, sagt Sas, »kein Bedarf«. Der Mann geht hinter den Tresen, kramt in einer Holzkiste. Dann kommt er an den Tisch zurück. Und zündet für Sas eine Kerze an. Im dunklen Fuchsbau. •


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