Oktober 2011 - Ausgabe 131
Reportagen, Gespräche, Interviews
Kahlschlag Kreuzberg (2): Baugrube Kreuzbergstraße von Michael Unfried |
Immobilienverkäufer kennen keine Scham. Sie stecken Postwurfsendungen in die Briefkästen und fragen an, ob nicht jemand im Haus seine Wohnung oder seinen Laden verkaufen möchte. Sie legen Flyer aus, in denen sie jenen Kreuzbergern, die den Immobilienhändlern einen Tip geben können, »Finderlohn« versprechen. Select Investments Berlin Brandenburg bietet »bis zu 1.000 Euro« für eine Empfehlung, maximal jedoch 1% des Kaufpreises. Es geht ganz einfach: »Sie informieren uns telephonisch oder per Kontaktformular über ein interessantes Objekt«, die Firma nimmt es in die Datenbank auf und schickt »innerhalb von 7 Tagen eine schriftliche Bestätigung über die Annahme Ihrer Empfehlung und Ihres Provisionsanspruches.« Dann wird das Objekt »erfolgreich vermarktet«, nach Vertragsabschluss erhält der Vermittler seine Provision. Auf diese und ähnlich unmoralische Weise versuchen die Immobilienhändler, die Mieter mit ins Boot zu holen und verführen sie dazu, Ihresgleichen zu verraten. Für ein Schmiergeld sollen sie den Investoren erzählen, in welchen Häusern sich »attraktive« Eigentumswohnungen befinden – ungeachtet dessen, wer in diesen Wohnungen gerade lebt. Womöglich ist die Gewinn versprechende Immobilie von einer Familie mit zwei Kindern aus dem dritten Stock bewohnt, die ohnehin viel zu laut sind – und über deren Auszug sich der eine oder andere in der Hausgemeinschaft freuen würde. Trotz vieler solcher unmoralischer Angebote sind Altbauwohnungen in Kreuzberg rar geworden, jede Brache wird genutzt, neue Wände aus Beton zu gießen. Nicht nur in der Schwiebusser Straße (Vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 130) oder am Gleisdreieck, sondern auch in der Kreuzbergstraße Nummer 78, an der Ecke zur Methfesselstraße. Gegen ein neues Haus an jener Stelle, wo seit dem Krieg nur eine Tankstelle und verbeulte Autos herumstanden, ist nichts einzuwenden, kein Bäumchen musste weichen, und die Brandwände der angrenzenden Häuser waren auch nicht eben eine Zierde. Also kaufte ein Architekt das politisch korrekte Eckstück, das lange Zeit keinen Käufer fand, und suchte sich eine Baugruppe, um ein Ökohaus zu bauen. Doch die Gruppe kam nicht zustande. Denn anders als in der Gründerzeit der Baugruppenkultur, als sich Interessenten zusammenfanden, um ein Grundstück und anschließend einen Architekten zu suchen, der für sie baut, laufen die Geschäfte heute genau anders herum. Ein Investor, in der Regel ein Architekt, kauft, und sucht anschließend Investoren, die das Projekt – und natürlich auch seine Arbeit – finanzieren. Das hat – so zumindest erzählen es Beobachter aus der Nachbarschaft – die Quadratmeterpreise für das Eckhaus an der Kreuzbergstraße derart in die Höhe getrieben, dass eine sich gerade formierende Baugruppe gleich wieder auseinander fiel. Nun hat Immobilien-Ziegert das Grundstück unter Kontrolle. Auch Ziegert möchte erfolgreich vermarkten und überschreibt seine Internetseite – für alle Fernsehzuschauer Deutschlands verständlich – mit »Liebling Kreuzberg!« Er lässt ein Video laufen, das neben dem perfekten Neubau mit der perfekten Einbauküche auch ein perfektes Kreuzberg zeigt: Unterlegt von leiser Musik fliegen Frisbeescheiben über die Hügel des Viktoriaparks, schieben blonde Mütter blonde Kinder in hübschen Kinderwagen über die Straße, schlecken blonde Mütter verführerisch am Eis und sitzen plaudernd am Wasserfall. Natürlich schlendern sie durch die Boutiquen, kaufen bunte Postkarten bei Ararat und leuchtend rote Paprika beim türkischen Gemüsehändler. Ziegert präsentiert junge, glückliche Kreuzbergerinnen, damit all die unglücklichen jungen Frauen in Bielefeld, Osnabrück, Darmstadt oder Weißensee abends, wenn der junge Architekt, Ehemann und werdende Vater nach Hause kommt, ihrem Liebsten Ziegerts Werbevideo von der heilen Welt zeigen und murmeln: »Ach, Schatzi, wäre das nicht was für uns drei?« Foto: Dieter Peters
Natürlich ist so ein Kauf, auch wenn es sich – oder gerade: weil es sich - um einen professionellen Verkäufer handelt, eine Vertrauenssache. Zum Beweis dafür, dass auch Immobilienhändler keine Unmenschen sind, sondern ganz normale Leute, hat Ziegert ein weiteres kleines Video drehen und ins Internet stellen lassen. Da tritt Nikolaus Ziegert persönlich, in Ermangelung eines Heiligenscheins immerhin mit einer weißen Rose, vor die Kamera, Mathias Baumeister von der hauseigenen Bank hält eine Pfeffermühle in der Hand, weil er »leidenschaftlich gerne« kocht, und Ferdinand Joosten vom Vertrieb hat sogar ein Paar Kopfhörer um den Hals, weil er leidenschaftlich gerne Schallplatten auflegt. Doch die potentiellen Käufer sind mit kleinen Filmchen nicht zu überzeugen. Sie wissen, wer hier mitverdienen möchte, und dass der Letzte in der Kette die Rechnung bezahlt: der Käufer. Deshalb sehen sich die zukünftigen Eigenheimbesitzer genau an, mit wem sie es zu tun haben, und finden heraus, dass Ziegert in Kreuzberg zumindest bei den Mietern keinen sonderlich guten Ruf genießt. Der Mieten AG aus dem Graefekiez ist aufgefallen, dass Ziegert immer dann einspringt, wenn der Taekker sich die Hände nicht schmutzig machen will. Denn Taekker, der dänische Großinvestor, der gleich reihenweise Häuser in Kreuzberg und Friedrichshain aufkaufte und stets versprach, keine Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen vorzunehmen, stürzte vor zwei Jahren in eine richtige Krise und war gezwungen, sein Versprechen zu brechen. Eine Journalistin des Neuen Deutschland entnahm den Veröffentlichungen von Wikileaks, dass Taekker zumindest einen Teil seiner Finanzgeschäfte bei der isländischen Kaupthin Bank tätigte, die das nördlichste Eiland Europas 2008 in eine spektakuläre Insolvenz und in die Schlagzeilen aller Welt hievte. Taekker ist in Zahlungsschwierigkeiten geraten, und der einzige Ausweg aus der Misere scheint der Verkauf von Häusern oder Wohnungen zu sein. Da kam dem dänischen Spekulanten eine Firma, die ein so genanntes »Mietmanagement« anbot, gerade recht: Ziegert. Schon auf der Homepage kündigte der Mietmanager relativ unverblümt die Beseitigung von Problemen mit etwaigen Mietern an. In der Müllenhoffstraße 14 und in der Dieffenbachstraße 58 wurde Ziegert für Taekker aktiv. »Die Häuser waren innerhalb kürzester Zeit so gut wie leer«, erinnert sich einer der Nachbarn. Derzeit ist Ziegert mit der Böckhstraße an der Ecke zur Gräfestraße beschäftigt. Bis zu 3.300 Euro möchte der dänische Wohnungshändler für den Quadratmeter im Szeneviertel haben. Doch die Mieter wehren sich erbittert. Ziegert ist so etwas wie ein »Entmietungsspezialist«. Ähnlich wie Select Investments vom Kudamm ködert die Firma zunächst mit Geld. »20.000 Euro Ablöse für eine 100-Quadratmeterwohnung in guter Lage sind immer drin!«, sagt Martin Breger von der Mieten-AG im Graefekiez. Wer trotz des großzügigen Angebots nicht ausziehen möchte, könnte eine weniger kooperative Seite der Firma kennen lernen. Denn zu den altbewährten Mitteln einer Entmietung gehören nach wie vor die Androhungen sofortiger Kündigung, tägliche Briefe von der Hausverwaltung oder deren Anwälten, Ausfälle von Heizungen, Fahrstühlen, Strom, sowie Belästigungen durch mehrjährige Bauarbeiten, Baugerüste und Bauarbeiter, die in den bereits leeren Wohnungen einquartiert werden. Belästigungen gehören zu den üblichen Strategien vieler Immobilienhändler. Die Entmietung von Altbauten ist eine schmutzige Angelegenheit. Und auch Ziegert möchte sich nicht immer nur für andere die Finger schmutzig machen. Ein Neubau dagegen ist eine saubere Sache. Geld lässt sich auch mit Neubauten verdienen. Sogar dann, wenn die Baugrube an der Kreuzbergstraße, im Gegensatz zu dem Großunternehmen in der Schwiebusser Straße, verhältnismäßig klein ist. Reinfallen können Interessenten auch in diese Grube. • |