Oktober 2011 - Ausgabe 131
Herr D.
Der Herr D. und das Einschreiben von Hans W. Korfmann |
Wie schwer es ist, die Wirtschaft anzukurbeln Der Herr D. konnte die Wirtschaft nicht mehr länger ankurbeln. Er hatte die Lust am Konsumieren verloren. Egal, ob er ein Handy, eine Waschmaschine oder einen Fahrradschlauch kaufte: Nach kürzester Zeit stellten sich die ersten Defekte ein. Besonders schlecht war er auf eine Firma zu sprechen, die ihm eine Telefonanlage verkauft hatte. Zwar hatte die Firma per »Ferndiagnose« festgestellt, dass die Anlage defekt sei, und ihm bereits Ersatzteile zugesandt, doch das Auswechseln der fehlerhaften Geräte sollte er selbst bewerkstelligen. Von einem Einsatz der betriebseigenen Techniker riet man ihm aus Kostengründen ab. Da der Herr D. nun aber mit den neuen Telekommunikationsgeräten wenig Erfahrung hatte und der sachkundige Bekannte aufgrund erhöhter Nachfrage keine Zeit für ihn hatte, telefonierte der Herr D. seit Monaten nur noch mit seinem Mobiltelefon. Zur großen Freude einer Firma, die mit Handygesprächen handelte. Doch nicht nur die Verkäufer technischer Geräte, auch die Mitarbeiter uralter Dienstleistungsunternehmen wurden immer dreister. So auch die der Post. Als der Herr D. die Quittung seines Einschreibens vom 8. August der Dame am Schalter überreichte und fragte, weshalb er nach zwei Wochen noch immer keinen Rückschein erhalten habe, antwortete die Dame: »Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Der Herr D. war sich sicher, dass die letzten noch verbliebenen Mitarbeiter von Ackermann & Co zu konsequenterer Kundenfeindlichkeit aufgefordert worden waren. »Und was kann ich jetzt tun?«, fragte der Herr D. »Sie rufen unter der Nummer an, die dort auf Ihrem Zettel steht, und fragen nach.« Der Herr D. hatte den Zettel bereits eingehend studiert und sagte: »Für 14 Cent die Minute! Das sehe ich nicht ein.« Wortlos verschwand die Dame in den hinteren Gemächern, wo sie den Mitarbeiter mit der Brille und dem dezenten Schnauzerbärtchen fragte: »Wo sind denn die Formulare für den Nachforschungsantrag?« »Die gibt es nicht mehr«, antwortete der Mann mit dem Schnauzbärtchen. »Die gibt es nicht mehr«, verkündete nun die Dame ohne Schnauzbärtchen dem Herrn D. Da fragte der Herr D.: »Können Sie mir vielleicht sagen, weshalb ich eigentlich 3,85 Euro für die Zustellung eines einzigen Briefes bezahlt habe?« »Das können Sie dann auch unter dieser Telefonnummer erfragen«, sagte die Schalterdame. »Für 14 Cent die Minute aus dem deutschen Festnetz, und für 42 Cent aus den deutschen Mobilfunknetzen«, ergänzte der Herr D. Der Herr D. konnte die Wirtschaft nicht länger ankurbeln. Er setzte sich aufs Fahrrad, hoffte, dass zumindest der neue Schlauch nicht gleich wieder platzen würde, und brachte den Brief persönlich zu seinem Empfänger. • |