Oktober 2011 - Ausgabe 131
Geschäfte
Mütter im Scheinwerferlicht von Eckhard Siepmann |
Die Kreuzberger haben ihre Probleme mit neumodischen Geschäften. Eines davon wurde in der Arndtstraße eröffnet. Zwischen Dimokritos und Heidelberger Krug gab es auf der gegenüber liegenden Straßenseite einmal eine Bar. Dort wurden Cocktails gemixt, junge und auch ältere Gäste verliebten sich und tanzten auf dem Sand, der über dem Estrich lag. Dann leuchtete jahrelang kein Licht mehr, der Sandstrand ergraute und wurde endlich ausgeräumt. Vor wenigen Wochen tauschte man die milchigen Schaufenster mit den seltsamen Che Guevara- und Buddha-Einschliffen gegen Sichtglas aus. Jetzt erstrahlt der große Raum in Lichtweiß. Scheinwerfer beleuchten weiße Regale und weiße Umkleidekabinen und zwei schick gekleidete Schaufensterpuppen, die allerdings eine gewisse Bauchwölbung aufweisen. Am Eingang flattert eine blaue Fahne mit einem Dickmadam-artigen Wesen mit Handtasche darauf und dem Ladennamen: sexymama. Unter dieser Fahne stehen zwei Frauen im besten Alter und schauen mürrisch durch die Fenster. »Sind denn jetzt schon so viele von diesen schwäbischen Jungmüttern vom Helmholtzplatz hier, dass sich so ein Laden bei uns lohnt? Ich hoffe ja nur, dass unser Chamissoplatz nicht dermaßen überrannt wird wie der Kollwitzplatz mit seinen ganzen Übermüttern und Übervätern, die nicht mehr nach rechts und nicht mehr links schauen und nur noch ihre eigene Brut im Blick haben!« mosert die eine. Foto: Dieter Peters
Foto: Dieter Peters
»Ich mein, wir Kreuzbergerinnen haben ja auch mal Kinder bekommen, ohne so einen Hype daraus zu machen. Und wir fühlten uns eigentlich ganz wohl dabei – auch ohne diese seltsamen Markenklamotten. Und wenn das Baby geboren war, war sowieso alles ganz anders, als man sich es vorgestellt hatte.« – »Ja, bei uns damals. Aber schau dir jetzt mal die Klingelschilder hier im Kiez an. Da liest du ja fast keine türkischen Namen mehr! Da wohnen jetzt Mütter mit ganz anderen Vorstellungen.« »Los, wir gehen jetzt einfach rein, mal sehen, was die Klamotten kosten!« Entschlossen und etwas patzig steigen die beiden Frauen die Stufen hoch. Die Kleider in den Regalen und an den Schiebestangen sehen eigen-tlich ganz normal aus. Die beherrschenden Farben sind schwarz, dunkelrot und braun, es ist Herbst. Und im Gegensatz zu anderen schicken Modegeschäften gibt es »noch echte Preisschildchen«. Teuer ist es auch nicht, die Strickkleider kosten 70, die Röcke 69 Euro, das sind ganz normale Preise. Die Verkäuferin legt die Illustrierte beiseite und sagt, dass sie sogar einige Stammkundinnen hätte, die gar nicht schwanger, sondern nur etwas vollschlanker seien. Die neuen Kleider für Schwangere wären nicht mehr mit Aussparungen für den Bauch geschneidert, sondern hautnah und elastisch, so dass sie sich an alle Körperformen anpassen können. »Gar nicht so übel, das blaue Strickkleid«, sagt sich die eine. »Wär auch was für mich. Ich glaub, ich muss später noch mal alleine wiederkommen.« Im Internet anprobieren und bestellen könne man nämlich auch die Sachen von sexymama noch nicht. Aber die Frauen kämen trotzdem aus ganz Berlin hierher, erzählt die nette Verkäuferin. Und die Edding-Aufschrift »sexymama go home to prenzl-mountain«, die kurz nach der Eröffnung auf der Fensterscheibe zum Kreuzberger Kulturkampf aufrief, war wohl »doch etwas überdosiert. Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif für einen Laden wie diesen hier in diesem Viertel. Aber in vier, fünf Jahren wird es hier auch so weit sein.« Die beiden Kreuzbergerinnen verlassen sexymama und gehen in die Markthalle zum Quatschen auf einen Latte Macchiato. Oben in der Galerie hängen unter dem Motto »Ich bin Kreuzberg« Zeichnungen von Heinrich Zille: Frauen, die vor hundert Jahren in den jetzigen Altbauten aus der Gründerzeit wohnten. Mit sehr dicken Bäuchen und drei Kindern am Hals, und ohne tolle Klamotten. Und gewiss nicht ohne Sorgen. • |