Kreuzberger Chronik
November 2011 - Ausgabe 132

Geschichten & Geschichte

Der Ausbau der Friedrichstadt


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von Werner von Westhafen

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Friedrich Wilhelm I. beschloss 1721, im Süden Berlins neue Häuser zu bauen. Schon damals gegen den Willen der Bürger

König Friedrich Wilhelm erfreute sich keiner großen Popularität. Nie hatte es in Preußen so viele Hinrichtungen gegeben wie unter dem so genannten Soldatenkönig, der von seinen Nachfolgern verlangte, »keine Metressen, es besser zu nennen Huren«, zu halten, nicht zu »Sauffen und Fressen« und »Komedien, Operas, Balettes, Masckeradehn« und ähnliche Vergnügungen zu verbieten. Für den König war das Leben Arbeit, ein zufriedenes Zurücklehnen gab es auch für jene nicht, die es mit ihrem Fleiß bereits zu Wohlstand gebracht hatten.

Ganz im Gegenteil. Als der König, von Natur aus eitel und bemüht, der Nachwelt Großes zu hinterlassen, sich in den Kopf setzte, die seit 1710 zu Berlin gehörende Friedrichstadt zu Klein-Paris auszubauen, erwischte es gerade jene, die Geld hatten. Der König wollte – ähnlich wie Berlins Regierender Bürgermeister etwa 300 Jahre später – partout die unansehnlichen Baulücken zwischen der Allee »Unter den Linden« und dem Halleschen Tor der Stadt füllen. Am Stadtrand im Süden sollten Gewerbe und Kaufleute angesiedelt werden, näher am Schloss dagegen respektable Häuser und Hotels nach dem Vorbild der Pariser Paläste. Eigenhändig zeichnete der fleißige König aus einem Pariser Stadtplan ganze Straßenzüge ab und übertrug sie auf Berlin. Um seine geliebten Soldaten aufmarschieren lassen zu können, zeichnete er drei große Paradestraßen ein, die alle auf das Rondell vor dem Halleschen Tor zuliefen: in der Mitte die Friedrichstraße, flankiert von der Lindenstraße im Osten und der Husarenstraße im Westen.

1721 berief er eine Baukommission ein, deren erste Tätigkeit die Erstellung einer Liste jener Bürger war, die vermögend genug waren, um ein Haus zu bauen. Den so Auserwählten schenkte der König ein Stück Bauland, 10.000 Taler in bar, Bauholz, Steine und »30 Wispel« Kalk. Die Subventionen aber reichten damals wie heute nicht aus, um nur noch die eigene Arbeit investieren zu müssen. Die Friedrichstadt lag mitten im Sumpf des Berliner Urstromtals, allein die Pfähle, die in die Erde getrieben werden mussten, verschlangen ein Vermögen und brachten viele Bauherren in Bedrängnis. Doch der König kannte kein Erbarmen, er soll gerufen haben: »Der Kerl hat Geld, soll bauen!« Wenn sich der »Kerl« trotz einer schriftlichen Ermahnung Seiner Majestät nicht einsichtig zeigte, drohten hohe Geldstrafen, Verlust von Amt und Würden, sowie die Einquartierung französischer Soldaten im trauten Heim. Denjenigen allerdings, die sich brav fügten, winkten Ämter und Vergünstigungen, es kam zu einem regen Handel zwischen den Bauherren und dem König, Posten und Ämter wurden neu besetzt, notfalls neu geschaffen.

Die Großbaustelle überwachte Friedrich Wilhelm selbstverständlich persönlich, denn »wo man selbst nicht die Nase in den Dreck steckt, so geht die Sache nicht.« Immer wieder tauchte der gefürchtete Diktator bei den Arbeitern und Bauherren auf, und wenn er jemanden beim Mittagsschläfchen erwischte, soll er sich nicht zu fein gewesen sein, ihn eigenhändig zu verprügeln. »Arbeiten müßt Ihr, so wie ich dies beständig getan habe«. Und der Wille des Königs geschah: Die Friedrichstadt, einst ein friedliches Städtchen vor Berlin, wurde allmählich zur Stadt. Nicht nur Wiesen und Gärten, auch die kleinen Häuschen der Vorstadt wichen der Bauwut des Regenten. Allein in den ersten beiden Jahren der Bautätigkeit entstanden 191 neue Häuser, am Ende der Regentschaft des Soldatenkönigs waren es 985.

Die Domizile der Handwerker und Geschäftsleute im Süden der Friedrichstadt waren meist zweistöckig, und ihre Fenster lagen nicht mehr auf der Sonnenseite wie die der einfachen Landhäuschen, sondern sie blickten nach Ost oder West auf die Straße, weil die Höhe der Subventionen nach der Frontlänge des Hauses berechnet wurde. Dafür besaßen viele von ihnen hinter dem Wohnhaus noch große Gärten, die den Reiz der südlichen Friedrichstraße ausmachten, als aus einigen Handwerksbetrieben Gasthäuser und Villen wurden.

Im Norden der Südstadt dagegen entstanden die respektablen Großbauten für die Staatsgäste, den Adel und die Militärs. Wieder diente dem fleißigen König das schicke Paris als Vorbild. Er ließ sich sogar die Baupläne der Adelshotels aus Paris schicken und verdoppelte kurzerhand die Subventionen für die Neubauten. Dennoch glichen die Paläste an der Husarenstraße den »armen Vettern der reichen Verwandten in Paris«. Selbst der legendäre Prachtbau des Prinz-Albrecht-Palais, (Vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 48), das der Baron Vernezobre de Laurieux nur bauen ließ, um seine reizende Tochter vor dem König zu retten, der sie mit einem seiner Freunde verkuppeln wollte, zu dem sie jedoch »nicht die geringste Neigung« besaß, diente zwischenzeitlich als Baumwolldepot.

Da sich viele der neuen Hausbesitzer finanziell verausgabt hatten, erlaubte der König ihnen zum Auffüllen der Haushaltskasse in den Seitenflügeln das Brauen von Bier und das Brennen von Branntwein. 84 Bierhäuser und 114 Brennereien sorgten schon bald für eine unterhaltsame Atmosphäre, und im Süden der Friedrichstraße mit ihren kleineren Häusern und Gärten zogen Künstler und Literaten ein. Friedrich Wilhelm dagegen ließ es sich nicht nehmen, auf den Einweihungen der großen Palais zu erscheinen. Leider waren die Neubauten oft noch kühl und feucht. Im Schulenburgschen Palais erkältete sich der gefürchtete Bauherr und starb. Noch im selben Jahr erhielt die Husarenstraße seinen Namen. •

Literaturnachweis: Joachim Riederer, »Posten, Prügel und Paläste«, Berlinische monatszeitschrift, Juni 1992



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