Mai 2011 - Ausgabe 127
Literatur
Wasserland von Werner von Bergengruen. |
Als von Carion und seiner Mutter, der alten Rätin, bewohnte Haus stand, ansehnlich aus Fachwerk errichtet, inmitten von Gärten und Wiesen, auf dem wenig bebauten Werder, unweit des westlichen Ufers. Den breiten, sumpfigen Spreearm, der nach Osten zu die Insel vom kurfürstlichen Schlosse, dem Schwarzen Kloster und der Stadt Cölln trennte, überquerte ein schmaler, hölzerner Steg, nur Fußgängern benutzbar. Außer diesem gab es keine Verbindung zwischen dem Werder und dem festen Lande. Die Heranbringung größerer Lasten wie der Brennholzvorräte oder der Fässer mit Winterkohl, Bier und Wein für den Carionschen Haushalt und die wenigen anderen Bewohner des Werders konnte nur auf dem Wasserwege geschehen; und auch wer, etwa zum Heumachen oder Fischen, auf eine der zahllosen Inseln der Nachbarschaft gelangen wollte, war auf das Boot angewiesen. (...) Dies alles war Froschland, Sumpfland, Fischland, Wasserland. Was fruchteten des Kurfürsten weitgefaßte Entwässerungspläne, die den Deutschen als unnütz, den Wenden als heillos galten. Hier wuchs kein Gestein von der Tiefe zur Höhe, das den Grund hätte festigen können; darum mußte aus Holz, Lehmpatzen und Ziegeln gebaut werden. Selbst in der Stadt waren viele Häuser mit Schilf gedeckt, als müßten sie die Erinnerung an den wasserlichen Ursprung der Niederlassung festhalten. Carion dachte daran, wie oft er auf seinen Gängen durch die Wiesen des Werders das tückische Schmatzen und Gurgeln des Moorwassers unter den Schritten zu hören hatte. Und wo dies Land fest wurde, da war es Sand, mehliger Sand zum Einsinken für Schuhe, Pferdehufe und Räder. Man könnte sich vorstellen, sinnierte er, daß ein Riesensturm des Unterganges am oberdeutschen Gestein vergebens zausen würde; hier aber vermöchte er wohl die Kiefern aus dem leichten Boden zu reißen und dann den lockeren, von keinem Wurzelgeflecht mehr zusammengehaltenen Sand in gewaltigen Schüben davonzutragen. Das waren Träumereien, über welche die Einheimischen spöttisch und ohne Verständnis die Achseln gezuckt hätten. Er raffte sich auf und ging rasch weiter. Der Himmel war fahl und bedeckt. Drüben, jenseits des dunklen Wassers, lag zur Linken das finstere und klobige Viereck des Schlosses. Rechterhand erhoben sich die Türme des Schwarzen Klosters. Alles übrige war noch in der Dämmerung begraben. Entnommen aus »Am Himmel wie auf Erden«, Werner Bergengruen, Arche Verlag, Zürich |